Ombudsmann
„Ich bin nicht die ethische Anstandsdame der UdS“

Axel Mecklinger, Professor für Experimentelle Neuropsychologie, ist seit sieben Jahren Ombudsmann an der Universität des Saarlandes. In diesem Neben- bzw. Ehrenamt ist er Ansprechpartner insbesondere in solchen Fällen, die sich um mutmaßliches wissenschaftliches Fehlverhalten drehen. Ende September endet seine Amtszeit. Im Interview blickt er auf diese Zeit zurück. Und auf manches Missverständnis, das mit dem Amt verknüpft ist.  

Axel Mecklinger an seinem Schreibtisch im Büro.

Frage: Was macht eine Ombudsperson?

Axel Mecklinger: Eine Ombudsperson ist Ansprechpartner für alle Universitätsangehörigen in Fragen guter wissenschaftlicher Praxis. Im Einzelnen bedeutet das die Beratung von Doktoranden und Doktorandinnen und deren Betreuungspersonen, die Beratung von Kollegen und Kolleginnen in Sachen Autorenschaft oder zu allgemeinen ethischen Prinzipien des wissenschaftlichen Arbeitens. Ferner umfasst die Ombudsarbeit die Vorprüfung bei Verdachtsfällen wissenschaftlichen Fehlhaltens. Schlussendlich gehört aber auch die Vermittlung der Grundlagen guten wissenschaftlichen Arbeitens in Form von Infoveranstaltungen und Workshops zu den Tätigkeitsfeldern einer Ombudsperson. 

 

Welche Themen überwogen in Ihrer siebenjährigen Amtszeit?
Die meisten Fälle meiner Amtszeit fielen im Bereich Betreuungsverhältnisse an. Beispiele sind Promovierende, die sich über ungenügende Anleitung oder Wertschätzung seitens ihrer Betreuungsperson beklagen, sowie Betreuende, die unzufrieden sind mit der Arbeitsqualität ihrer Promotionsstudierenden. Vermittlungsbemühungen in solchen Fällen setzten viel Fingerspitzengefühl und Diplomatie voraus. An zweiter Stelle folgten Aufgaben im Bereich Datenfälschung und Täuschungsversuche sowie die Vermittlung bei Konflikten rund um das Publizieren, also bei Fragen der Autorenschaft.

 

Warum braucht es überhaupt eine Ombudsstelle? Ist es nicht klar, dass, wenn man sich für eine wissenschaftliche Karriere entscheidet, auch den Regeln der Wissenschaft folgt? Wie in jeder Branche spricht es sich ja auch in der Wissenschaft schnell herum, wenn jemand sich nicht an die Gepflogenheiten hält.
Gute Frage. Meine Erfahrung lehrt, dass Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis auf allen Hierarchieebenen des wissenschaftlichen Arbeitens vorkommen. Meines Erachtens ist das Ausdruck des sehr kompetitiven Charakters des derzeitigen Wissenschaftsbetriebs. Der enorme Konkurrenzdruck, unter dem heuzugtage Fördergelder beantragt werden, das Ringen um High-Impact-Publikationen oder um Listenplätze bei der Besetzung von Professorenstellen verleiten den einen oder anderen schon mal dazu, den Pfad der Tugenden zu verlassen und es mit der guten wissenschaftlichen Praxis nicht so genau zu nehmen.

 

Sie agieren ja nicht im „luftleeren Raum“. Worauf haben Sie sich in Ihrer Arbeit gestützt?
Verschiedene Wissenschaftsverbände haben dieses Problem erkannt und Ursachenanalysen für unethisches Verhalten in der Wissenschaft durchgeführt, etwa die Deutsche Gesellschaft für Psychologie zum Thema Machtmissbrauch in der Wissenschaft. Auch der DFG-Kodex enthält einschlägige und zielführende Vorschläge beispielsweise zur Vermeidung von Machtmissbrauch oder für neue Bewertungskriterien für die Leistung. Die Devise ist: Qualität vor Quantität.

 

Unter den geschriebenen Regeln spielt insbesondere dieser „Kodex“ der DFG, die „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“, eine zentrale Rolle zur Bewertung von Konflikten in der Wissenschaft. Weshalb ist der Kodex von derart großer Bedeutung?
Der Kodex wurde im Sommer 2019 erlassen und ist die zentrale Verfahrensordnung zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten an bundesdeutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen. Dieser Kodex ist notwendig geworden durch die vielfältigen Veränderungen im wissenschaftlichen Arbeiten und im Publikationswesen, insbesondere bedingt durch den digitalen Wandel der vergangenen Jahre. Er stellt eine Art Selbstverpflichtung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dar. Diese Leitlinien sind deswegen von großer Bedeutung, da sich nahezu alle wissenschaftlichen Einrichtungen in Deutschland verpflichtet haben, sie rechtsverbindlich umzusetzen.
An unserer Universität ist dies im November 2023 geschehen (siehe Dienstblatt 58/2023). Einrichtungen, die den Kodex nicht umsetzen beziehungsweise Kollegen und Kolleginnen, die gegen die Leitlinien verstoßen, können vom DFG-Antragsverfahren auf Fördergelder ausgeschlossen werden. Übrigens gilt hier wie in vielen anderen Fällen auch: Unwissenheit schützt nicht vor Strafe.
Beim Kodex ist es übrigens genauso wie bei der Ombudsstelle selbst: Ein Großteil der Kollegen und Kolleginnen an der UdS hat noch nie davon gehört oder zumindest nur sehr geringe Kenntnisse davon. Ein Beispiel ist die Frage nach der Aufbewahrungsdauer von Forschungsdaten. Ich würde wetten, dass acht von zehn befragten Kollegen und Kolleginnen hier die falsche Antwort geben. Wer es wissen möchte: Die Antwort steht in Leitlinie 17.

 

Was sind die größten Missverständnisse, denen Sie im Laufe Ihrer Tätigkeit als Ombudsmann begegnet sind?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Universitätsangehörige oft gar nicht wissen, dass es überhaupt eine Ombudsstelle an der UdS gibt. Manche haben auch ganz falsche Vorstellungen davon, was eine Ombudsstelle leisten kann. „Sorgen Sie dafür, dass diese Publikation, auf der ich nicht als Autor berücksichtigt wurde, sofort zurückgezogen wird“ oder „Sorgen Sie dafür, dass Professor XY für sein unangemessenes Verhalten mir gegenüber zur Rechenschaft gezogen wird“: Eine Ombudsstelle ist weder die ethische Anstandsdame der Uds noch das generelle universitäre Exekutivorgan zur Ahndung wissenschaftlichen Fehlverhaltens.

 

Gibt es wissenschaftsethische Grauzonen, in denen es kein klares Bild gibt, oder sind dies möglicherweise sogar die meisten?
In vielen Fällen lässt sich Fehlverhalten in der Tat nicht eindeutig belegen. Selbst wenn die maschinelle, software-basierte Plagiatsprüfung einer Dissertationsschrift 70 Prozent Übereinstimmung mit anderen Publikationen ergibt, kann das noch nicht als Beleg für ein Plagiat gelten. Hohe Übereinstimmungsraten können Folge eines – unproblematischen – Selbstplagiats sein, wenn ein Autor zum Beispiel Textbausteine aus einer seiner früheren Publikationen übernommen hat. Ebenso können hohe Übereinstimmungswerte anzeigen, dass Standardformulierungen (etwa aus Methodenteilen) übernommen wurden. Jeder Verdachtsfall muss somit individuell und sehr gründlich geprüft werden.
Schwieriger wird es beim Nachweis bewusster Datenfälschung. Wie wahrscheinlich ist es, dass sieben Mal exakt derselbe Messwert in einer 16 Datenpunkte umfassenden Matrix auftaucht? Ist ein solches Ergebnis tatsächlich so gemessen worden oder wurde es gefälscht? 

 

Eine Ehrenautorenschaft zum Beispiel ist nun mal kein Kavaliersdelikt, sondern ein klarer Verstoß gegen gängige Publikationsrichtlinien in allen wissenschaftlichen Fachgebieten.

Prof. Dr. Axel Mecklinger

 

Auf welchen Hierarchieebenen kommen ethische Probleme in der Wissenschaft besonders häufig vor? Auf der Ebene der Professuren, wo es um viel (Förder)Geld und internationales wissenschaftliches Renommee geht oder eher darunter, wo es mutmaßlich um die existenziellen Nöte junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geht?
Interessant ist, dass Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis nicht nur auf frühen Karriereebenen, sondern auch bei Kollegen und Kolleginnen späterer Karriereebenen immer häufiger auftauchen und geahndet werden. Eine Ehrenautorenschaft zum Beispiel, eine Autorenschaft also, die jemandem erteilt wird, obwohl der Betreffende keinen genuinen Beitrag zu einer Publikation geleistet hat, ist nun mal kein Kavaliersdelikt, sondern ein klarer Verstoß gegen gängige Publikationsrichtlinien in allen wissenschaftlichen Fachgebieten. Auch eine Falschangabe in einem DFG-Antrag oder in einem Bewerbungsverfahren kann nicht der eigenen Vergesslichkeit oder Unachtsamkeit zugeschrieben werden. Vielmehr handelt es sich um Fälle persönlicher Vorteilnahme auf Kosten anderer, also um einen klaren Verstoß gegen die Regel der guten wissenschaftlichen Praxis.

 

Welche Fälle sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Es gab besonders dreiste Formen der Datenmanipulation: Eine Studentin etwa, die im Rahmen ihrer Masterarbeit über soziale Medien Freunde und Freundinnen zum Mitmachen an einer eigenen Fragebogenstudie aufrief und klar und deutlich sagte, welche Antworten sie sich von ihren Bekannten wünschte, um beim Betreuer einen guten Eindruck zu hinterlassen und eine sehr gute Masterarbeitsbewertung zu bekommen. 

 

Welche Sanktionsmöglichkeiten gibt es im Falle von schwerwiegendem Fehlverhalten?
Nachgewiesenes Fehlverhalten kann wissenschaftsbezogene Konsequenzen wie den Entzug von akademischen Graden, aber auch arbeitsrechtliche, dienstrechtliche oder zivilrechtliche Konsequenzen wie Abmahnungen, Vertragsauflösungen oder Unterlassungsansprüche nach sich ziehen.  In der Tat stellt aber nicht jeder Verstoß gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis wissenschaftliches Fehlverhalten dar. Nur bei vorsätzlichen und grob fahrlässigen Verstößen können Sanktionen ausgesprochen werden. Auch bewusst unrichtige und mutwillig erhobene Vorwürfe seitens eines Hinweisgebenden (Whistleblower) können selbst ein wissenschaftliches Fehlverhalten begründen.  Die Ahndung des Fehlverhaltens richtet sich nach dem Schweregrad des Fehlverhaltens, aber auch nach den Umständen des Einzelfalls. Wichtig dabei ist: Es gilt generell die Unschuldsvermutung.

 

Was sind Ihres Erachtens die wichtigen Aufgaben für die Ombudsarbeit an der UdS in den nächsten Jahren? Worauf kann Ihr Nachfolger aufbauen?
Zu den wichtigen Zukunftsaufgaben der Ombudsstelle gehören meines Erachtens neben der Vernetzung mit anderen Ombudseinrichtungen an europäischen Hochschulen weitere Anstrengungen bei der Vermittlung der Grundlagen guter wissenschaftlicher Praxis in Form von Workshops und anderen Infoveranstaltungen. Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass im Zuge einer weiteren Professionalisierung die Grundlagen der guten wissenschaftlichen Praxis in die Lehrpläne einzelner Studiengänge aller Fakultäten aufgenommen werden. Wenn Sie mich fragen, sollte man so früh wie möglich damit anfangen, die Grundlagen guter wissenschaftlicher Praxis zu vermitteln.
Ich bin sehr froh darüber, dass uns mit der Einrichtung einer Ombudsgeschäftsstelle im Jahr 2019,  dem Aufbau einer eigenen Webseite zur wissenschaftlichen Integrität und eines internen, anonymen Dokumentationssystems erste und wichtige Schritte zur Professionalisierung der Ombudsarbeit an der UdS gelungen sind. Mit dem Kollegen Prof. Dr. Karlo Meyer aus der Fachrichtung Evangelische Theologie ist es gelungen, einen in ethischen Fragen ausgewiesenen Fachmann als neuen Ombudsperson für die UdS zu gewinnen.

 

Interview und Fotos: Thorsten Mohr

17.09.2024
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