„Scherben bringen Glück“, lautet eine Redensart. In Britta Schreibers Fall ist das durchaus buchstäblich der Fall. Denn sie ist Glasbläserin im Fachbereich Chemie und empfindet ihre Arbeit an der Uni als großen Glücksfall, den einige eigentlich unschöne Zufälle ermöglicht haben. Meist repariert sie in ihrer Werkstatt die gläsernen Apparaturen aus den Chemie-Laboren, die ebenfalls oft von ihr hergestellte Einzelstücke sind.
Britta Schreiber in ihrer Glasbläserei auf dem Campus Saarbrücken. Alle Fotos: Thorsten Mohr
Von Thorsten Mohr
Ganz zu Beginn von Britta Schreibers Berufsleben stand eine Pleite. Und zwar die ihres damaligen Ausbildungsbetriebes, einer Neonglasbläserei in Burbach. „Das war damals natürlich nicht schön, aber rückblickend ein großes Glück“, sagt Britta Schreiber heute, während sie in ihrer schönen, neu eingerichteten Glasbläserei zu Füßen der Chemie-Hochhäuser auf dem Saarbrücker Campus sitzt, umringt von Kisten voller Kolben, Flaschen und Destillationsapparaturen. Als ein Klassenkamerad aus der Berufsschule in Wertheim ihr statt der Neonglasbläserei die Spezialisierung auf den Glasapparatebau nahelegte, sattelte sie im zweiten Lehrjahr um und lernte fortan in einem Püttlinger Betrieb, wie man gläserne Apparaturen für die Industrie und die Wissenschaft herstellt. Nach ihrer Ausbildung war sie noch weitere zwei Jahre in dem Betrieb, den sie dann während der Finanzkrise 2008/2009 verlassen musste. „Dort haben wir alle 14 Tage an der Uni kaputte Sachen eingesammelt und repariert“, erzählt sie.
Es war ihre erste Begegnung mit der Universität. Aber es sollte zum Glück für beide nicht die letzte gewesen sein. Nach sieben Jahren der Selbstständigkeit und zwei weiteren Jahren in Festanstellung ergab es sich nach der erfolgreichen Meisterprüfung, dass Britta Schreiber auf einer Glaskunst-Ausstellung auf ihren heutigen Vorgänger an der Universität des Saarlandes traf. „Wir Glasbläser sind ja wie eine kleine Familie, man trifft sich ständig immer wieder“, sagt Britta Schreiber. Ihr heutiger Vorgänger, der schon zwei Jahre in Rente sein sollte, sagte ihr also, dass er händeringend nach einem Nachfolger suche, der die Glasbläserei an der Uni weiterführt. „Ich kannte damals aber die Werkstatt. Die war nicht sonderlich schön“, erinnert sie sich. Die zu übernehmende Werkstatt lag im Keller des ziemlich renovierungsbedürftigen und alten Chemiegebäudes. Viel Elan, das Angebot anzunehmen, verspürte sie daher nicht. Bis sie erfahren hat, dass ein weiterer eigentlich unglücklicher Umstand ihr zu Hilfe kommen könnte: Nach einem großen Schaden wurde das Gebäude von heute auf morgen geschlossen. Schnell stand fest, dass es grundlegend saniert werden musste. „Dabei wurde auch die Glasbläserwerkstatt neu geplant“, so Britta Schreiber. So konnte sie sich ihre eigene Werkstatt ganz nach ihren Wünschen und Vorstellungen einrichten.
Damit wandelte sich die Anstellung an der Universität des Saarlandes von einer eher unschönen Vorstellung in eine tatsächliche Traumstelle, die sie nun seit 2018 bekleidet. Umringt von einem Ofen, einer Drehbank, Kisten voller Glasapparaturen, Glasstäben, die als Rohmaterial für Reparaturen und neue Gerätschaften dienen, diversen Zimmerpflanzen, Auftragsskizzen (von professionellen Computer-Entwürfen bis zur handgemalten Skizze auf Einmal-Handtuch) und vielen weiteren nützlichen und schönen Dingen, sitzt Britta Schreiber nun also an ihrem – natürlich gläsernen – Werktisch und bearbeitet mit bloßen Händen Glas, das sie mit dem am Tisch befestigten Brenner auf bis zu 3000 Grad Celsius erhitzen kann. In Sekundenschnelle dreht und zieht sie das Werkstück so in die gewünschte Form, die Hände an den kühlen Enden. Wie oft sie sich schon verbrannt hat? Sie lacht. „Oft. Heißes Glas sieht leider genauso aus wie kaltes.“ Wo man es noch anfassen kann und wo nicht, das sagt einem irgendwann die Erfahrung. Ebenso wie sich zu schneiden, gehören Verbrennungen zum schmerzhaften, aber ungemein wirkungsvollen Lernprozess einer Glasbläserin. „Mein Meister hat in der Ausbildung zu mir gesagt: ‚Du musst zehn Jahre in dem Beruf arbeiten, damit du dich wirklich Glasbläser schimpfen kannst.‘“ Damit hatte er recht, weiß Britta Schreiber heute.
Aber das hat ihre Leidenschaft für diesen Werkstoff auch nach Jahrzehnten nicht trüben können. „Denn jedes Stück ist anders. Die Faszination besteht für mich darin, zu überlegen, wie ich genau dieses eine Stück Glas beherrschen kann“, so ihre Erklärung für diese Leidenschaft. Bevor sie sich dazu entschlossen hatte, Glasbläserin zu werden, wusste sie, dass sie großes handwerkliches Interesse hatte. „Kreatives Handwerk hat mich schon immer interessiert. Bühnenbildner wäre auch ein schöner Job gewesen, Holz ist auch ein interessanter Stoff. Metall dagegen ist mir zu kalt, zu grob.“ Im Glas fand sie dann genau den richtigen Stoff.
Schätzungsweise 80 Prozent ihrer Arbeit bestehen heute aus Reparaturen von zu Bruch gegangenen Apparaturen. Der Rest sind entweder Umarbeitungen von Standard-Apparaturen, die im Großhandel bestellt werden, oder auch komplexe Einzelanfertigungen für die Chemikerinnen und Chemiker. Hier geht ein Riss durch einen Kolben, da ist eine Ecke aus dem Schliff einer Kühlfalle rausgebrochen, die es zu ersetzen gilt.
Inmitten dieses endlosen Stroms von Aufträgen herrscht Britta Schreiber in ihrem kleinen Reich aus Feuer und Glas und ist sichtlich zufrieden mit ihrem Berufsleben. „Glasbläserstellen wachsen schließlich nicht an Bäumen“, weiß sie. Und solche Stellen, wie sie eine ergattern konnte, schon gar nicht. Im Berufsverband der Glasbläser, in dem sie auch aktiv ist, sind bundesweit zirka 500 Kolleginnen und Kollegen vertreten. Insgesamt dürften es wenige tausend Menschen sein, die mit der Glasbläserei ihren Lebensunterhalt verdienen. „Es gibt nur wenige Jobs im Saarland“, so Britta Schreiber. Das macht ihr auch das Leben etwas schwerer, denn einen Azubi, den sie gerne ausbilden würde, findet sie seit Jahren nicht. „Ich würde so gerne ausbilden, aber wir finden einfach niemanden“, sagt sie.
Wie mühsam ein Leben als Glasbläser sein kann, weiß sie schließlich aus eigener Erfahrung. Man muss bereit sein, für einen Job umzuziehen, mit der Ausbildung ist man hochgradig spezialisiert und findet im Zweifel auch nicht so schnell etwas Neues. All das hat Britta Schreiber erfahren müssen. Und würde es trotzdem immer wieder genauso machen. Denn Glas, das ist der Stoff ihrer Träume. Und je mehr davon zu Bruch geht, umso besser. Denn zumindest beruflich haben die Scherben Britta Schreiber stets Glück gebracht.