Inklusion
Barrierefreiheit von Anfang an mitdenken

Im Projekt „InklusionsGuides“ beraten Studentinnen und Absolventinnen mit Behinderungen ein Jahr lang Unternehmen und Institutionen als Expertinnen in eigener Sache. Ziel ist es, die Benachteiligung von Frauen mit Schwerbehinderung im Arbeitsleben abzubauen. An der Universität des Saarlandes waren es Nina Becker und Deniz Erbug, die gemeinsam mit der Inklusionsbeauftragten Michelle Froese-Kuhn Maßnahmen hin zu mehr Barrierefreiheit angestoßen haben. Die wichtigsten Erkenntnisse werden im neuen Handbuch „Inklusive Arbeitswelt“ vorgestellt.

Das „Guidanceteam“ (von links nach rechts): die Inklusionsguides Nina Becker und Deniz Erbug sowie Michelle Froese-Kuhn von der Universität des Saarlandes. Foto: UdS/Jörg Pütz

„Wieso fährst du denn überhaupt in den Urlaub? Für dich sieht doch sowieso alles gleich aus.“ Das ist eine der typischen Fragen, mit denen Nina Becker in ihrem Alltag konfrontiert wird. Die 27-Jährige ist von Geburt an fast blind. Sie lebt in Mainz und arbeitet dort – nach Abschluss ihres Studiums in Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Sonderpädagogik – im Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen. „Aber Sie können Ihre Finger doch bewegen, dann können Sie doch auch schreiben“, so lautete die Bemerkung eines Professors, als es an der Uni um das Thema Klausur ging. Das sind nur zwei von zahlreichen Beispielen aus dem neuen Handbuch „Inklusive Arbeitswelt“ des Hildegardis-Vereins, in dem Nina Becker, gemeinsam mit einer Mitautorin, humorvoll typische Vorurteile und Missverständnisse in Bezug auf Menschen mit Behinderung kommentiert.

Darüber hinaus ist Nina Becker eine der Inklusionsguides, die in dem Handbuch vorgestellt werden. Gemeinsam mit der Studentin Deniz Erbug, die mobilitätseingeschränkt ist und im Rollstuhl sitzt, hat sie die Barrierefreiheit an der Universität des Saarlandes aus ihrer Perspektive unter die Lupe genommen: Dazu haben die beiden jungen Frauen den Saarbrücker Campus ein ganzes Jahr lang immer wieder besucht. Ihr Ziel: konkrete Maßnahmen zu erarbeiten, die die Universität als Arbeitsplatz für Menschen mit unterschiedlichen Bedarfen zugänglicher machen.

„Zehn Unternehmen und Institutionen haben seit 2022 das Projekt ‚InklusionsGuides‘ abgeschlossen, und die Universität des Saarlandes war als erste Hochschule in Deutschland von Anfang an dabei“, freut sich die Inklusionsbeauftragte der Universität Michelle Froese-Kuhn, die das Projekt für die Uni eingeworben und betreut hat. „Als ‚Guidanceteam‘ haben wir uns einmal pro Monat auf dem Campus getroffen und uns gemeinsam die Barrierefreiheit an der Universität angeschaut“, berichtet Froese-Kuhn. Bei der Beurteilung von baulichen Aspekten kam Deniz Erbug zum Zug: Sie ist Expertin für die Zugänglichkeit von Gebäuden und Wegen für gehbeeinträchtigte Menschen. Darüber hinaus gab es eine weitere, spezielle Fragestellung: Für das Personaldezernat sollte geprüft werden, wie attraktiv die Universität als Arbeitgeber für Menschen mit Behinderung ist. 

Die Anregungen der Inklusionsguides wurden dokumentiert und werden nun sukzessive umgesetzt.

Michelle Froese-Kuhn

Unter anderem sollten dabei die digitalen Bewerbungsinformationen auf den Webseiten der Universität beurteilt werden. Als Expertin für Sehbehinderungen und Blindheit prüfte Nina Becker unter anderem die digitale Barrierefreiheit der Karriereseite – und fand dort nur wenige verbesserungswürdige Punkte. „Die Seite war problemlos auffindbar und logisch strukturiert, sie besaß Skip-Links und konnte auch ohne Maus bedient werden (…)“, heißt es hierzu im Handbuch, wo die Karriereseite exemplarisch dokumentiert ist.

Die Seiteninhalte inspizierte Deniz Erbug. Neben ihrer Tätigkeit als Inklusionsguide studiert sie Evangelische Theologie an der Goethe-Universität in Frankfurt. Mit den Informationen auf der Uniseite war sie nicht ganz so zufrieden: Beispielsweise vermisste sie Hinweise zur baulichen und strukturellen Barrierefreiheit, zu Ansprechpersonen oder Infos zu Teilzeit- und Telearbeit. Zudem fand sie die Darstellung der Angebote speziell für Akademikerinnen nicht attraktiv genug. 

„Die Anregungen der Inklusionsguides wurden dokumentiert und werden nun sukzessive umgesetzt“, sagt Michelle Froese-Kuhn. „Auf der Karriereseite haben wir die Ansprache von Bewerberinnen und Bewerbern mit Schwerbehinderung bereits verbessert. Wir werden dieses Thema zukünftig gleich zu Beginn ausdrücklich mitdenken.“ Auch die Bildsprache der Webseite wird in Kürze inklusiver werden, da die beiden jungen Frauen bei einem ihrer Besuche an einem Fotoshooting in diverser Runde teilnahmen.

Die Universität wünscht sich, dass ihr Engagement in dem Projekt Früchte trägt. In Zeiten des Fachkräftemangels möchte sie ihre Attraktivität als öffentlicher Arbeitgeber angemessen darstellen und qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen – zumal Unternehmen mit mehr als 20 Arbeitsplätzen auch per Gesetz dazu verpflichtet sind, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. Im Dezernat Personal engagiert sich seit 2020 das Team „Die UdS als attraktive Arbeitgeberin“ dafür, qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen – ein idealer Anknüpfungspunkt für die Arbeit der Inklusionsguides.

Text:Gerhild Sieber
Gerhild Sieber
24.07.2025
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Das Projekt "InklusionsGuides"

Während der dreijährigen Pilotphase des Projektes „InklusionsGuides“ haben Frauen mit Behinderung gemeinsam mit Unternehmen, Institutionen und Organisationen eine Vielzahl von Erkenntnissen und Lösungsansätzen für mehr Inklusion erarbeitet. Zehn „Guidanceteams“ stellen im Handbuch „Inklusive Arbeitswelt“ je ein Praxisbeispiel vor. Das Kernstück der Publikation umfasst zwölf Handlungsempfehlungen. Die Initiative wird von der Aktion Mensch gefördert und vom Hildegardis-Verein getragen.

Handbuch: https://www.hildegardis-verein.de/inklusionsguides-Handbuch.html