Biowissenschaften
Zwischen Nacktmullen und tödlichen Viren

Studentinnen und Studenten fragen sich früher oder später alle, was sie mit ihrem Studienabschluss anfangen können. Masterstudierende der lebenswissenschaftlichen Fächer an der Saar-Uni können sich auf der Suche nach einer Antwort darauf bei einer Exkursion nach Berlin inspirieren lassen, die der scheidende Genetik-Professor Jörn Walter seit vielen Jahren organisiert – dieses Jahr zum ersten Mal gemeinsam mit seiner Nachfolgerin auf der Professur für Genetik, Julia Schulze-Hentrich. Auf dem Programm standen dieses Jahr ehrwürdige Forschungseinrichtungen wie das Robert-Koch-Institut ebenso wie quirlige Start-ups aus der Biotech-Szene.

Annalena Frank und Kevin Sander waren im Sommersemester Teil einer 16-köpfigen Exkursion nach Berlin, wo sie große Einrichtungen wie das Robert-Koch-Institut ebenso besucht haben wie dynamische Start-ups aus der Biobranche.

„Was willst du denn damit mal anfangen?“, „Wozu ist das gut?“: Solche Fragen hören Studierende geisteswissenschaftlicher Fächer nicht selten. Aber wer nun denkt, dass ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen aus den Naturwissenschaften gänzlich unbelastet seien von solchen Fragen, unterliegt einem Trugschluss. Denn natürlich fragen sich auch Studierende dieser Fachrichtungen, was sie nach ihrem Studium arbeiten möchten. So geht es auch den Masterstudierenden aus den biowissenschaftlichen Fächern des Zentrums für Human- und Molekularbiologie (ZHMB) an der Saar-Uni sowie den Studierenden der Biotechnologie.

 

Seit vielen Jahren schon organisiert deshalb Genetik-Professor Jörn Walter für diese eine jährliche Exkursion nach Berlin, wo er dank seiner guten Beziehungen einen reichhaltigen Fundus an Ansprechpartnern in Unternehmen, Behörden und öffentlichen Einrichtungen hat. So sollen die Studierenden, die kurz vor ihrem Masterabschluss stehen, ein Spektrum an Möglichkeiten kennenlernen. „Außerdem ist eines auch ganz wichtig dabei: Dass die Absolventen merken, dass sie gefragt sind auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Jörn Walter.

 

Außerdem ist eines auch ganz wichtig dabei: Dass die Absolventen merken, dass sie gefragt sind auf dem Arbeitsmarkt.

Professor Jörn Walter

 

Dieses Jahr war erstmals seine Nachfolgerin auf der Professur für Genetik, Julia Schulze-Hentrich, mit dabei, die im nächsten Jahr den Staffelstab übernehmen wird, wenn Jörn Walter nach Jahrzehnten erfolgreicher Forschung und Lehre in den Ruhestand gehen wird. Und da Jörn Walter, sozusagen der „Nestor“ der Exkursion, in diesem Jahr aus terminlichen Gründen nicht mitfahren konnte, übernahm sie prompt zum Einstand die Exkursionsleitung und machte sich im Sommersemester mit 16 jungen Männern und Frauen auf den Weg nach Berlin.

 

Dort ging es zu altehrwürdigen Einrichtungen wie dem Robert-Koch-Institut, das spätestens seit der Corona-Pandemie einen Bekanntheitsgrad von Sportstars und Spitzenpolitikern aufweisen dürfte, ebenso wie zu quirligen Start-ups aus der Biotech-Branche, deren Namen drei Häuser weiter schon niemand mehr kennt. „Wir möchten damit das ganze Spektrum der Möglichkeiten vermitteln“, erläutert Julia Schulze-Hentrich. „Vom schnelllebigen, dynamischen Start-up bis hin zur großen Behörde, die ganz anders funktioniert.“

 

Wir möchten damit das ganze Spektrum der Möglichkeiten vermitteln. Vom schnelllebigen, dynamischen Start-up bis hin zur großen Behörde, die ganz anders funktioniert.

Professorin Julia Schulze-Hentrich

 

Dieses Bemühen hat offenbar gefruchtet, wurden auf der Reise doch einige falsche Vorstellungen zurechtgerückt: „Meine beiden Highlights waren das Bundesinstitut für Risikobewertung und die Glycotope GmbH“, berichtet Kevin Sander. Der 24-jährige Biotechnologie-Student hatte beim BfR eher das Klischee einer Behörde im Sinn: Langweilige Bürokraten tun langweilige Bürokratensachen. „Aber das war wirklich sehr vielfältig, was wir gesehen haben.“ So konnten der junge Biotechnologe und seine 15 Mitreisenden erfahren, wie das BfR sogenannte Vapes, besser als E-Zigaretten bekannt, auf ihr Gesundheitsrisiko hin untersucht, oder prüft, welche Farbstoffe von Tätowierungen gefährlich sind und welche nicht. „Bei Glycotope fand ich als Biotechnologe persönlich sehr interessant, wie sie dort Proteine modifizieren, damit diese zellspezifisch wirken. Auch, wie das Unternehmen aufgebaut ist im Vergleich zu einem großen Konzern oder einer Behörde, war sehr interessant zu sehen“, so der Masterstudent weiter.

 

Auch seine Kommilitonin Annalena Frank, die ihren Biologie-Master vor Augen hat, hat bleibende Eindrücke von der Reise mitgenommen. „Vor allem das S4-Sicherheitslabor im Robert-Koch-Institut hat mich sehr beeindruckt“, so die 23-Jährige. Ganze vier dieser Hochsicherheitslabore gibt es in ganz Deutschland. Entsprechend rar sind die Gelegenheit selbst für Fachleute und angehende Fachleute wie Annalena Frank, ein solches Labor einmal live zu erleben. „Dort werden tödliche Pathogene wie zum Beispiel Ebola-, Marburg- und Lassa-Viren erforscht“, erläutert Jörn Walter die Funktion dieser Einrichtungen.

 

 

Im Leibniz-Institut für Wildtierforschung tauchten die jungen Biowissenschaftler in die Welt der Nacktmulle ein. Diese Nagetiere, die nackt, blind und mit riesigen Nagezähnen einigermaßen bizarr daherkommen, sind für Genetiker besonders interessant, denn sie leben ungewöhnlich lange. Könnten Wissenschftler wie Julia Schulze-Hentrich, Jörn Walter und ihre nachfolgenden Generationen das Geheimnis ihrer Langlebigkeit herausfinden, wäre dies ein immenser Schub für die Entwicklung von Medikamenten und Therapien gegen schwere Krankheiten wie Krebs, die dem Mensch zu schaffen machen, dem Nacktmull aber erstaunlicherweise kaum.

 

Das Biologie und Biotechnologie nicht nur mit dem Untersuchungsobjekt „Leben“ selbst zu tun hat, sondern auch mit den Werkzeugen, die dies ermöglichen, konnten die Exkursionsteilnehmer beim Deutschen Rheumaforschungszentrum erleben. Die dortigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzen ein breites Spektrum neuster Geräte, die sie zum Sequenzieren des Genoms, zur Sortierung von Zellen oder fürs Mikroskopieren benötigen, und entwickeln neue Ansätze vor allem zum Sortieren von Zellen. „Die kaufen das nicht von der Stange“, fasst Jörn Walter es knapp und präzise zusammen. Das ergibt auch Sinn, denn auch ein Formel-1-Team kauft seinen Rennwagen ja nicht bei VW Schmidt im gläsernen Autohaus, sondern tunt ihn im Grund selbst. Mit dem VW wäre ein Rennen ziemlich aussichtslos. Genauso ist es auch in der Spitzenforschung beim Rheumaforschungszentrum.

 

„Mir haben die beiden Tage sehr gute Einblicke verschafft, was ich nach meinem Abschluss alles tun könnte“, lautet Annalena Franks persönliches Fazit. „Das war eine sehr gute Orientierung.“ Auch ihr Kommilitone Kevin Sander blickt zufrieden zurück auf die Exkursion: „Das war toll. Ich bin nach meinem Studium ziemlich ortsunabhängig. Ich kann mir sehr gut vorstellen, nach Berlin, München, Hamburg oder sonstwohin zu ziehen.“ Dass es genügend Möglichkeiten gibt, um gute Jobs zu bekommen, hat er nun eindrücklich vor Augen geführt bekommen.

Text: Thorsten Mohr
Fotos: Thorsten Mohr/Julia Schulze-Hentrich
10/13/2023 - 14:41
Zum Seitenanfang