Materialwissenschaft und Werkstofftechnik
Schwerelos für die Forschung

Schweben wie ein Astronaut im All – Lucas Ruschel hat dies bei einem Parabelflug erlebt. Schon seit dem Bachelorstudium arbeitete der Materialwissenschaftler im Team von Professor Ralf Busch mit an internationaler Spitzenforschung. Die Forschungsgruppe zählt weltweit zu den Vorreitern für metallisches Glas und wird bald mit der Besatzung der Internationalen Raumstation ISS zusammenforschen.

Lucas Ruschel erlebte bei einem Forschungsflug 30-mal den freien Fall. Foto: privat

„Das Flugzeug geht erst in den Steilflug. 20 Sekunden lang wirkt die doppelte Schwerkraft auf den Körper. Das ist erstaunlich heftig“, sagt Lucas Ruschel. Dann, wenn die Maschine aus 8500 Metern in Richtung Erde stürzt, ist es so weit: Schwerelosigkeit, 22 Sekunden lang. Nicht nur einmal machte der Doktorand dieses Flugmanöver an diesem Tag mit, sondern ganze 30-mal – ein wahrer Wellenritt und nichts für schwache Mägen. "So hohe G-Kräfte kennt man zwar von Achterbahnen, aber da dauern sie nur Bruchteile von Sekunden. Die Belastung über längere Zeit zu erleben, wie stark die Kräfte tatsächlich auf den Körper wirken, ist absolut faszinierend", erzählt er. Die ersten Parabeln konnte der leidenschaftliche Achterbahnfan genießen. Er schlug sogar Saltos. „Es ist ein surreales Gefühl. Man muss aufpassen, dass man nicht kopfüber hängt, wenn die Schwerkraft wieder einsetzt“, sagt der Materialwissenschaftler.

 

Dann aber wurde es ernst – der freie Fall war schließlich kein Freizeitvergnügen. Mit Lucas Ruschel schwebte ein 1500 Grad heißer, flüssiger Tropfen metallischen Glases in der Kabine, um den sich bei dem Forschungsflug alles drehte. „Mehrere Teams hatten in dem für Parabelflüge umgebauten Airbus ihre Experimente aufgebaut. Bei uns ging es um das Fließverhalten unserer Legierung Nickel-Niob, das wir an dem Tropfen flüssigen Metalls untersucht haben“, erklärt Ruschel, der schon seit dem frühen Studium im Team von Materialforscher Professor Ralf Busch mitarbeitete. Busch ist weltweit einer der Pioniere für Metalle, die zu Glas erstarren.

 

"Das Tolle an Materialwissenschaft und Werkstofftechnik ist, dass hier Chemie, Physik und Technik, sogar Informatik, vereint sind. Das Fach ist extrem vielseitig, die Themenvielfalt an den Saarbrücker Lehrstühlen ist groß."

Lucas Ruschel

 

Anders als man vermuten könnte, ist metallisches Glas nicht etwa fragil und zerbrechlich wie Trinkgläser oder Fensterglas. Es ist im Gegenteil fast unzerstörbar. „Dieses Glas ist doppelt so fest wie Stahl, die Legierungen lassen sich aber leicht verarbeiten wie Kunststoff“, sagt Lucas Ruschel. Das Geheimnis liegt im Innern dieses außergewöhnlichen Metalls: „Die Atome sind nicht in einem Kristallgitter angeordnet, wie man es von klassischen Metallen kennt, sondern sind ungeordnet wie bei Glas. Dadurch haben diese Metalle ganz besondere Eigenschaften“, erklärt Lucas Ruschel. Die Forscher kühlen die heißen Legierungen dafür extrem schnell herunter, die Atome schockgefrieren quasi an Ort und Stelle. Auf atomarer Ebene geht die flüssige direkt in die feste Phase über.

 

Buschs Arbeitsgruppe hält viele Patente auf diese neuartigen, ultrafesten Legierungen. Das Forschungsteam hat sie für Spritzgussverfahren weiterentwickelt, ideal, um kleine Bauteile wie Schrauben für Luft- und Raumfahrt oder chirurgische Instrumente massenhaft in Form zu bringen. „Ich habe daran mitgeforscht, herauszufinden, wie man diese Materialien herstellen und sie leistungsfähiger und besser machen kann“, schildert Lucas Ruschel. Dafür veränderte der Materialwissenschaftler die Rezeptur der Legierungen, gab zum Beispiel Phosphor hinzu, damit sie stabiler und robuster werden. Die Ergebnisse seiner Forschung waren so vielversprechend, dass auch er ein Patent anmeldete. Seit Kurzem arbeitet Lucas Ruschel als Qualitätsingenieur bei Fresenius Medical Care. Nach seiner intensiven Forschung während seiner Promotion nutzt er seine technische Expertise nun für die Qualitätssicherung von Dialyseprodukten im medizinischen Bereich.

 

Schon früh im Studium an Spitzenforschung mitzuarbeiten, hat Lucas Ruschel seit jeher gereizt. „Das Tolle an Materialwissenschaft und Werkstofftechnik ist, dass hier Chemie, Physik und Technik, sogar Informatik, vereint sind. Ich hatte mich immer für Naturwissenschaft interessiert, nach einem Vortrag über Materialwissenschaft an einem Tag der offenen Tür der Uni war die Sache dann für mich klar“, erzählt der Materialforscher, der im Studium an Industrieprojekten zu metallischen Gläsern für die Medizin mitarbeitete. Die Saar-Uni ist in der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik ein internationaler Top-Standort.

 

„Die Betreuung im Studium ist hier exzellent. Die Zahl der Lehrstühle ist im Verhältnis zur Zahl der Studierenden hoch – dadurch profitiert man vom individuellen Austausch mit Professoren und Forschern“, sagt Ruschel. Studierende werden auch schnell in die Forschung eingebunden - mit echtem Praxisbezug. „Studierende sollten früh den Kontakt zu einem der Lehrstühle suchen. Wer engagiert ist, bekommt leicht einen Job als wissenschaftliche Hilfskraft. Dadurch erhält man früh Einblicke in wissenschaftliches Arbeiten und Laborpraxis. Die eigenen Ideen in echten Experimenten umsetzen zu können, motiviert ungemein“, schildert er.

 

„Das Fach ist extrem vielseitig und die Themenvielfalt an den Saarbrücker Lehrstühlen ist groß. Man kann auf den Gebieten arbeiten, für die man sich interessiert und entsprechende Schwerpunkte auf Metalle, Polymere oder keramische Werkstoffe setzen. Und man arbeitet mit modernsten Technologien – von Elektronenmikroskopie mit tausendfacher Vergrößerung bis hin zur Arbeit an Teilchenbeschleunigern wie dem Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY, um die atomare Struktur sichtbar zu machen", sagt der Materialforscher. „Am Ende geht es darum, Werkstoffe zu entwickeln, die in Raumfahrt, Medizintechnik, Hochleistungsbauteilen oder auch Alltagsprodukten eingesetzt werden können – und das ist sehr spannend.“ 

 

Es geht persönlich zu in der Saarbrücker Materialwissenschaft und Werkstofftechnik. „Es ist ein familiäres Fach, jeder kennt jeden. Auch die Fachschaft ist sehr aktiv und plant etwa gemeinsame Feste“, sagt Lucas Ruschel. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, wie international die Forscherinnen und Forscher vernetzt sind. Den Studierenden steht die Welt offen, nicht zuletzt, weil die Saarbrücker Materialwissenschaftlerinnen und Materialwissenschaftler mit Forschungsteams in aller Welt zusammenarbeiten. Außer dem nationalen Bachelor- und Masterprogramm können die Studierenden auch international studieren: Auf dem Saarbrücker Campus liegt das Hauptquartier der Europäischen Schule für Materialforschung. Sie koordiniert internationale Studiengänge wie „Atlantis“, „EEIGM“ und „Amase“, die im Verbund mit Unis weltweit Doppelabschlüsse in allen Sprachkombinationen Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch ermöglichen.

 

Die Mischung aus Grundlagenwissen, Laborarbeit und industriellem Bezug machte für Lucas Ruschel den Reiz des Studiums aus. Er rät: „Am Anfang des Studiums darf man sich nicht abschrecken lassen. In den ersten Semestern geht es um Theorie, Mathe, Physik, Technische Mechanik – das gehört dazu. Das sind die Grundlagen. Da muss man durchziehen, am besten nichts schieben, alles baut aufeinander auf. Es lohnt sich absolut, durchzuhalten, danach wird es echt spannend, praxisnah und anwendungsorientiert.“ 

 

Professor Ralf Busch forscht mit seinem Team an metallischen Gläsern, die völlig andere Eigenschaften haben als gewöhnliche Metalle: Sie sind fest wie Stahl, lassen sich aber verarbeiten wie Kunststoff. Die Arbeitsgruppe am Lehrstuhl für metallische Werkstoffe der Universität des Saarlandes entwickelt neue Legierungen und forscht an neuen Verarbeitungsmethoden.

 

Anbrennen lassen die Saarbrücker Materialforscher nichts. Zwar können sie ihre Proben auch auf festem Boden zum Schweben bringen. Unter Weltraumbedingungen aber geht das noch besser – ganz ohne Störfaktoren. Deshalb schickt Ralf Busch jetzt eine Probe ins All zur Internationalen Raumstation ISS. Schon seit Jahrzehnten arbeitet Busch bei seiner Forschung unter anderem mit der Weltraumorganisation NASA, dem "Jet Propulsion Laboratory", das Satelliten und Raumsonden für die NASA baut und steuert, und mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt zusammen. Ohnehin ist die Saarbrücker Materialwissenschaft gut vernetzt ins Weltall. Auch das Team von Buschs Fachkollegen Professor Frank Mücklich erforschte auf der ISS Oberflächen, auf denen sich keine Krankheitskeime ansiedeln und vermehren können. Damals betreute ESA-Astronaut Matthias Maurer die Experimente bei seiner Weltraummission, der selbst in Saarbrücken Materialwissenschaft und Werkstofftechnik studiert hat. 
 
 
Im All können die Materialien unter echter Schwerelosigkeit untersucht werden. "Meine Versuche beim Parabelflug waren die Vorarbeit für die Experimente auf der Internationalen Raumstation, die das Team von Ralf Busch zusammen mit der Europäischen Weltraumorganisation ESA durchführen wird. Das Projekt durfte ich im Rahmen meiner Promotion betreuen und koordinieren", sagt Lucas Ruschel. Astronaut Matthias Maurer macht die Experimente diesmal zwar nicht – aber die Standleitung ins All, die steht.

 

Text:Claudia Ehrlich
Claudia Ehrlich
Lucas Ruschel (Foto: UdS/Ehrlich) Professor Ralf Busch (Foto: UdS/Mohr)
12.08.2025
Fotos:
Lucas Ruschel (Foto: UdS/Ehrlich) Professor Ralf Busch (Foto: UdS/Mohr)
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