Éamonn Ó Ciardha, irischer Historiker und Literaturwissenschaftler von der Ulster University in Nordirland, lehrt im Wintersemester als Gastprofessor an der Saarbrücker Fachrichtung Anglistik und Amerikanistik.
Der irische Historiker und Literaturwissenschaftler Éamonn Ó Ciardha lehrt im Wintersemester als Gastprofessor an der Universität des Saarlandes. Foto: UdS/Jörg Pütz
Die irische Literatur von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart – sie ist Gegenstand der aktuellen Lehrangebote von Éamonn Ó Ciardha in der Fachrichtung Anglistik und Amerikanistik. Die Heimat des Gastprofessors ist eine literarische Schatzkiste: Sie hat besonders viele Literatur-Nobelpreisträger und andere große Schriftsteller hervorgebracht. Die bedeutendsten Werke der irischen Literatur können Saarbrücker Studierende in der Vorlesung „Irish Literature in English“ kennenlernen. „Die Lehrveranstaltungen von Éamonn Ó Ciardha vermitteln außerdem die Bezüge zu den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Irland und ihre Auswirkungen auf die westliche Welt“, erläutert der Professor für Britische Literatur- und Kulturwissenschaft Joachim Frenk, Ó Ciardhas Gastgeber an der Universität des Saarlandes.
Auch mit der jüngsten Geschichte Irlands können sich die Studierenden vertraut machen: Im Seminar „The Northern Ireland ‚Troubles' in Literature and Film“ behandelt Ó Ciardha Darstellungen des Nordirlandkonflikts, auch bekannt als „the Troubles”, bis hin zum Brexit im Jahr 2016. Ein weiteres Seminar mit dem Titel „The British and Irish Outlaw“ beleuchtet die Figur des Geächteten, Vogelfreien, Banditen und Gesetzlosen. „Diese Männer und Frauen haben die Geschichte, die Kultur und die Literatur Irlands und Großbritanniens nachhaltig geprägt. Im Seminar behandeln wir das Weiterleben von Outlaws in der Populärkultur“, erklärt der Gastprofessor.
„Das Studium der irischen Geschichte und Literatur ist ein Mikrokosmos für das Studium der Menschheit“, ist der Historiker und Literaturwissenschaftler überzeugt. Die Iren hätten im Laufe ihrer Geschichte viel durchgemacht: Besatzungen, Hungersnöte und Emigration, Unterdrückung und Vertreibung, aber auch die Kolonialisierung anderer Völker in Afrika und Indien. „Dieses wechselvolle Schicksal Irlands spiegelt sich in seiner Literatur wider“, sagt Ó Ciardha, der aktuell auf dem Coleraine Campus der Ulster University in Nordirland lehrt und – ebenso wie die Saarländer – in einer Grenzregion lebt: Von seinem Wohnort in der unabhängigen Republik Irland pendelt er täglich nach Nordirland. Während man die Grenze heute problemlos passieren kann, sah das während des Nordirlandkonflikts anders aus: „Bis zum Karfreitagsabkommen 1998 gab es überall militärische Kontrollpunkte und bombensichere Baracken entlang der 300 Kilometer langen inneririschen Grenze. Als Kind habe ich mich immer gefragt, was die britischen Soldaten in unserem Land taten, und warum sie wissen wollten, wohin ich gehe“, erinnert sich Éamonn Ó Ciardha.
Irisch ist eine der ältesten Schriftsprachen Westeuropas.
Das Saarland und die Universität hat der Gast aus Irland bereits bei einem früheren Aufenthalt kennengelernt: Ab Oktober 2010 hatte er ein Jahr lang die Gastprofessur im Rahmen des Saarbrücker Europa-Schwerpunktes inne. Seither besteht eine Partnerschaft zwischen der Universität des Saarlandes und der nordirischen Ulster University, und über das Erasmus-Programm haben bis jetzt fast 50 Saarbrücker Studierende ein Auslandssemester an der nordirischen Universität eingelegt.
Während der Wissenschaftler in Saarbrücken auf Englisch unterrichtet, können die Studierenden aus dem Saarland an der Ulster University auch Irisch-Kurse belegen. „Irisch ist eine der drei gälischen Sprachen, die wiederum zu den keltischen Sprachen gehören“, erklärt der Gastprofessor. „Es wurde im fünften Jahrhundert nach Christus erstmals niedergeschrieben und ist eine der ältesten Schriftsprachen Westeuropas.“ Das Irische behauptet sich neben Englisch als zweite Amtssprache im Land, es ist Pflichtfach in den Schulen, und die Straßenschilder sind zweisprachig. Dennoch spreche die Mehrheit der Iren Englisch als erste Muttersprache – ebenso wie Ó Ciardha. „Irisch ist zwar offizielle Amtssprache in der Europäischen Union, aber als Minderheiten-Sprache wird es in Irland nur noch von etwa 80.000 Menschen täglich genutzt“, sagt er. „Mit einem Polizisten sollte ich am besten Englisch sprechen, doch wenn ich mich mit Kollegen zu einem Kaffee treffe, unterhalten wir uns auf Irisch“, erzählt er von seinem Alltag in Nordirland.
Zum Abschluss und Höhepunkt der irischen Gastprofessur findet vom 26. bis 28. Februar 2025 ein Symposium mit dem Titel „Irish Studies in a Changing Europe“ statt. Es wird von Professor Ó Ciardha gemeinsam mit Professor Joachim Frenk und der Mitarbeiterin Nadja Freier organisiert. Im Rahmen der Tagung werden Akademikerinnen und Akademiker von irischen, deutschen und niederländischen Universitäten Vorträge zu verschiedenen Teildisziplinen der Irlandstudien halten. „Die Forscherinnen und Forscher werden die Reichweite und die Bedeutung der Irlandstudien von der Mediävistik bis zu den Digital Humanities erörtern“, erklärt Joachim Frenk, und Nadja Freier ergänzt: „Das Symposium soll auch den vorhandenen Austausch zwischen der irischen und der kontinentaleuropäischen Forschung intensivieren.“
Die irische Gastprofessur
Sie wird vom irischen Außenministerium über die Irische Botschaft in Berlin finanziert, mit einer kleinen Beteiligung der Universität des Saarlandes für die Unterbringung des Gastprofessors. Die Gastprofessur wurde in enger Abstimmung mit der Botschaft und dem irischen Konsulat in Frankfurt aufgelegt. Sie wurde bislang nur an vier deutsche Universitäten vergeben (Wuppertal, Tübingen, Würzburg und die Universität des Saarlandes). Diese gehören unter dem Dach von EFACIS (European Federation of Associations and Centres of Irish Studies) zu den ausgewiesenen „Centres of Irish Studies“ in Deutschland.
Dr. Éamonn Ó Ciardha
Der Gastprofessor und Wissenschaftler wurde 1968 in Monaghan/Irland geboren. Er studierte Geschichte und irische Sprache am University College in Dublin und promovierte an der Universität Cambridge. Nach Lehrtätigkeiten in Kanada und den Vereinigten Staaten lehrt er seit 2005 an der Ulster University irische Geschichte sowie Sprache und Literatur. Seine Hauptforschungsinteressen sind die europäische Geschichte von der Reformation bis zur Französischen Revolution, die moderne Geschichte, Politik, Kultur und Sprache Irlands sowie die irische Literatur.