Kurz hinter der Hauptzufahrt auf den Saarbrücker Campus steht seit wenigen Jahren eine junge Himalaya-Birke. Drumherum gruppieren sich Sitzbänke, eine Blumenwiese sorgt im Frühling für fröhliche Farben und Gesumm von Tausenden Bienen und Hummeln. Was viele nicht wissen: Der einladend gestaltete Platz ist ein Gedenkort für Judith Becker. Die Biotechnologin aus dem Team von Professor Christoph Wittmann ist 2021 jung verstorben. Die Birke und der Platz sollen das Andenken an diese besondere Frau bewahren.
Professor Christoph Wittmann (sitzend links), die Eltern von Judith Becker, Renate und Rainer (daneben), sowie das gesamte Team vom Institut für Systembiotechnologie gedenken mit der Himalaya-Birke im Hintergrund ihrer jung verstorbenen Kollegin und Freundin.
„Sie hätte ihre helle Freude an der Stelle gehabt“, sagt Christoph Wittmann. „Sie“ ist Judith Becker. Der Biotechnologin, die mit nur 40 Jahren an Leukämie verstorben ist, stifteten Christoph Wittmann, Professor für Systembiotechnologie, und sein Team eine Gedenkstelle im Eingangsbereich des Saarbrücker Campus. Seit gut anderthalb Jahren laden dort eine Himalaya-Birke, mehrere Sitzbänke und – im Frühling – ein Heer aus mehreren Tausend Krokussen zum Verweilen ein. Eine Gedenktafel erklärt, was es mit dem Ort auf sich hat. Spricht man mit Christoph Wittmann über Judith Becker, wird schnell klar, wie sehr er und sein gesamtes Team Judith Becker geschätzt haben. „Sie mochte unheimlich gerne Blumen, die Natur und alles, was darin lebt“, sagt der Professor über sie und damit einen der Gründe, warum sein Team und er sich für diesen speziellen Gedenkort entschieden haben.
Die Lebenswege von Judith Becker und Christoph Wittmann sind lange Zeit parallel verlaufen. Judith Becker hat 2004 bei ihm ihre Diplomarbeit an der Saar-Uni geschrieben und ihre Promotion begonnen. Als Christoph Wittmann, damals noch kein Professor, kurz darauf einen Ruf nach Münster erhalten hatte, fackelte sie nicht lange. „Ich habe sie gefragt, ob sie mitkommen möchte, was sie glatt gemacht hat. In der Forschung war sie ein Ass. Daneben haben Judith besondere menschliche Eigenschaften ausgemacht. Sie war gradlinig, zuverlässig, interessiert, zugewandt, geerdet und bescheiden, gerne in der Welt unterwegs und gerne daheim – dazu hatte sie ein strahlendes Lachen und einen trockenen Humor. Uns hat bald eine großartige Freundschaft verbunden“, erinnert er sich. Nach einer weiteren Station in Braunschweig kam dann 2013 der Ruf auf die Professur für Systembiotechnologie nach Saarbrücken. „Judith sagte, ‚das ist wie ein Lottogewinn‘. Sie war ja ein Kind des Saarlandes und hier total verwurzelt“, umschreibt er die Saarländerin, die froh und glücklich war, „ihrem“ Professor als Akademische Rätin wieder zurück in ihre Heimat folgen zu können.
Wäre ihre Geschichte ein Märchen, wäre sie an dieser Stelle möglicherweise schon mit dem Satz „Und sie lebte und arbeitete von da an froh und glücklich im Saarland“ zu Ende gegangen. Leider kam es jedoch anders. 2017 erkrankte die damals 36-Jährige an einer Leukämie, die sie dank zweier Stammzelltherapien auch kurzfristig überwinden konnte. Damals gab es auch eine große Typisierungsaktion an der Universität des Saarlandes, an der sich viele Universitätsmitglieder und auch Leute von außerhalb der Uni beteiligt haben. „Da haben wir einen riesigen Zusammenhalt gespürt. Judith hat unglaublich gekämpft und blieb auch in der Krankheit immer stark. Zwei Jahre später haben wir alle geglaubt, sie hätte es geschafft“, stellt Christoph Wittmann rückblickend fest. Leider war die Therapie wenige Jahre später doch erfolglos geblieben. Im April 2021, mit nur 40 Jahren, starb Judith Becker, nachdem der Krebs zurückgekommen war.
Die Kolleginnen und Kollegen des Lehrstuhls überlegten nach diesem Verlust, wie sie ihrer menschlich wie fachlich so geschätzten Kollegin gedenken könnten – und kamen schließlich auf die Idee mit der Himalaya-Birke, die vom „Dach der Welt“ stammt, als Symbol des Neubeginns und des Lebens und Baum der Weisheit gilt und gleichzeitig als widerstandsfähiger Pionierbaum Stärke zeigt. In einer Baumschule in Bad Zwischenahn („fast alle großen Baumschulen sind in Norddeutschland“) wurden sie fündig und kauften dort einen Setzling. Der allerdings auch schon ein richtiges Kaliber war. „Der Baum ist etwa im gleichen Jahr ‚geboren‘ wie Judith. In der Baumschule hat seine weiße Rinde die vielen anderen Bäume einfach überstrahlt. Er sah aus, als könne er es nicht erwarten ‚Judiths Baum‘ im Saarland zu werden“, so Christoph Wittmann über die rund 10 Meter hohe Birke, die im November 2021 mithilfe von schwerem Gerät an ihren heutigen Platz gesetzt wurde.
Seitdem wird der Gedenkplatz nach und nach weiter gestaltet, erweitert, gepflegt, zum Beispiel mit den bereits erwähnten Krokussen. „Ursprünglich wollten wir nur ein paar Krokusse setzen, daraus wurden dann 4000. Später wollen wir nochmal rund 5000 dazusetzten.“ Ein außergewöhnliches Denkmal für einen außergewöhnlichen Menschen. „Sie hat einfach super hierher gepasst“, sagt Christoph Wittmann über Judith Becker. Denn: „Ich habe ja schon einige Unis kennengelernt, aber diese Lebenseinstellung, das Zwischenmenschliche, das auch Judith ausgezeichnet hat, ist im Saarland schon ganz besonders“, hat er im Lauf der Zeit festgestellt. Judith Beckers Wurzeln im Saarland, ihre engen Verflechtungen sowohl an der Uni als auch in ihrem Heimatort Kutzhof, finden in der Himalaya-Birke einen Gedenkort, wie er persönlicher nicht sein könnte.
„Wir haben in all unseren Berufsjahren einen gemeinsamen Traum verfolgt“, erzählt Christoph Wittmann. „Sie hat immer gesagt: ‚Wenn du mal in Ruhestand gehst, halte ich deine Abschiedsrede‘“, sagt er. Dass es dazu nun nicht mehr kommen wird, erfüllt nicht nur ihn mit Wehmut, war Judith Becker doch vielen, vielen weiteren Menschen eine großartige Freundin und Kollegin. „Den Traum verfolgen wir in der Forschung weiter. Judith ist dabei täglich in unseren Herzen.“
Ein Trost wird es für Christoph Wittmann und diese vielen weiteren Freundinnen und Freunde sein, dass Judith Beckers Baum noch lange an sie erinnern wird. Wenn nichts dazwischenkommt, sogar noch viele Jahrzehnte, nachdem Christoph Wittmann in den Ruhestand gegangen sein wird.