Alumni-Reihe: Der Arzt und Politiker Dr. Karl Addicks
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Ein Arzt mit Welterfahrung

Er überquerte als Schiffsarzt auf einem Segler den Atlantik, geriet als Geisel im Irak in Lebensgefahr, arbeitete als Mediziner im Nigerdelta, in Basrah, Sichuan und Marrakesch und engagierte sich als Abgeordneter im Bundestag für mehr Gesundheit in Entwicklungsländern. Karl Addicks filmreifes Leben nahm auf dem Saarbrücker Campus die entscheidende Wende. Der Arzt und Politiker hat an der Saar-Universität Chemie und Medizin studiert.

Abflug nach Afrika 2007: Im Bundestag engagierte sich Karl Addicks für Gesundheit in Entwicklungsländern.

 

„Geht raus und werdet welterfahren! Werft einen Blick über den Horizont – man versteht Zusammenhänge besser, wenn man weiß, wie es in anderen Ländern zugeht, und gewinnt auch an Selbstvertrauen.“ Karl Addicks Tipp für Studentinnen und Studenten kommt nicht von ungefähr: Der weitgereiste Mediziner, der später in die Politik wechselte, weiß, wovon er spricht. Auch davon, dass nicht alles planbar ist im Leben, dass eins zum anderen führt und: dass es gerade die scheinbar beiläufigen Ereignisse sind, die alles verändern können. „Man sollte Chancen ergreifen, wenn sie sich bieten“, sagt er rückblickend. Und das hat Addicks getan, immer wieder.

 

Sein Weg als Arzt führte ihn nach Nigeria, in den Irak, nach China und Marokko. Welterfahrung hat er gesammelt. Doch ohne ein auf den ersten Blick wenig spektakuläres Gespräch mit Studienfreunden auf dem Saarbrücker Campus wäre alles anders gekommen. – Aber der Reihe nach: Wie kam der in der Oberpfalz geborene Addicks, der in Kleve am Niederrhein aufwuchs, überhaupt ins Saarland? Zuerst wegen der Chemie. „In Chemie war der Kreis der Universitäten Ende der Sechziger recht überschaubar. In Mainz hatte ich keinen Praktikumsplatz bekommen. Das Saarland war für mich interessant wegen der Nähe zu Frankreich. Ich wollte im Studium die Welt und das Leben kennen lernen.“

 

"Mein Tipp für Studierende? Geht raus und werdet welterfahren! Werft einen Blick über den Horizont – man versteht Zusammenhänge besser, wenn man weiß, wie es in anderen Ländern zugeht, und gewinnt auch an Selbstvertrauen."

Dr. Karl Addicks

   

Fast wäre im Sommer 1969 alles an der Aufnahmeklausur gescheitert. „Ich reiste mit dem Auto von Kleve an und kam zu spät. Als ich auf dem Campus vor dem Hörsaal der anorganischen Chemie eintraf, kamen mir die anderen Prüflinge schon entgegen.“ In seiner Not wandte er sich an die Sekretärin des Institutsleiters Fritz Seel, die sich – „Na, dann kommen sie erst mal rein“ – seiner annahm. „Nachdem sich Professor Seel meine Bewerbung angeschaut hatte, sagte er: ´Setzen Sie sich hier an meinen Schreibtisch`. Und er ließ mich nachschreiben. Das hat mich schwer beeindruckt.“ Er bestand als einer der besten.

 

© Foto: privat/Karl Addicks

Karl Addicks als Student, 1972

 

Es folgten drei Semester Chemie, auf die Addicks gern zurückblickt. „Ich habe an diese Zeit sehr schöne Erinnerungen. Ich fand schnell Freunde, die ganze Atmosphäre an der Uni war sehr angenehm. Hier im Saarland herrschte – wie auch heute – eine Offenheit, eine freundliche Zugewandtheit, die mir gefiel. Auch das Umfeld auf dem Campus: Es erschien mir damals fast futuristisch. Es war sehr modern, die Gebäude der Chemie waren ganz neu. Man hatte kurze Wege von einem Institut zum anderen, alles war sehr familiär.“ Und auch die Nähe zu Frankreich hielt, was sie versprach. „Wir waren mehrfach in Paris. Ein Abenteuer: zu viert mit der Ente (Anm.: dem Kultauto Citroen 2CV). Man fand noch freie Parkplätze mitten im Zentrum, parkte ohne Parkschein und verließ das Auto ohne einen Gang einzulegen. Es war auch nicht teuer. Paris damals ist mit dem heutigen gar nicht zu vergleichen. Ein völlig anderes Lebensgefühl. Das war für mich Freiheit.“

 

"Das Saarland war für mich interessant wegen der Nähe zu Frankreich. Ich wollte im Studium die Welt und das Leben kennen lernen."

 

Nach drei Semestern aber merkte Addicks, dass in der Chemie nicht seine Zukunft lag: „Die Chemie wurde mir irgendwie zu eng, je länger ich studierte. Natürlich sollte man nicht bei jedem kleinen Widerstand hinschmeißen. Stehvermögen ist etwas Schönes. Aber wenn man merkt: Das macht mich nicht glücklich, sollte man auch abbrechen können. Sonst wird man nicht froh“, fügt Addicks an. Der Wunsch nach Medizin reifte. Aber schon damals waren Medizin-Studienplätze nicht leicht zu ergattern.

 

Und da kam der eingangs erwähnte, besondere Moment: „Der Wendepunkt meines Lebens – der alles, was folgte, veränderte. Es wäre alles anders gekommen“, sagt Karl Addicks rückblickend und erzählt von dem zufälligen Zusammentreffen mit Studienfreunden im Erdgeschoss des Physikgebäudes. Ein alltäglicher Moment, ohne Fanfaren, ohne Trommelwirbel: Er kam hinzu, als einige Studienkollegen sich gerade darüber unterhielten, dass das Ministerium für „Externe“, die nicht in Medizin immatrikuliert waren, eine Ausnahmegenehmigung für das Vorphysikum in Medizin vergab. Die notwendigen Scheine hatte Addicks in der Tasche: So wenig spektakulär kann ein Wendepunkt im Leben daherkommen. Und: So wichtig kann die richtige Information zur rechten Zeit sein.

 

"Wenn man merkt: Das macht mich nicht glücklich, sollte man auch abbrechen können. Sonst wird man nicht froh."

 

Also wechselte Addicks auf den Medizin-Campus in Homburg. Mit einem kleinen Schlenker, denn weil plötzlich alles schnell ging und er nicht genug Zeit hatte, sich vorzubereiten, hat er die Vorphysikums-Prüfung beim ersten Mal „versemmelt“, wie er sagt. „Scheitern gehört auch dazu, man muss halt nur wieder aufstehen.“ Das tat er. Und im zweiten Anlauf startete er durch. „Medizin war für mich das richtige Fach. Es machte mir Spaß. Ich studierte wie besessen. Zehn, zwölf Stunden am Tag, ich saß bis 22 Uhr im Lesesaal an meinem Schreibtisch und legte dann auch ein sehr gutes Physikum ab.“ Er denkt gern zurück, vor allem an die Anatomievorlesungen. „Professor Helmut Leonhardt – er war ein begnadeter Anatom, seine Vorlesungen waren toll. Oder Professor Helmut Kulenkampff – er war der Bruder des damals sehr bekannten Show-Moderators Hans-Joachim Kulenkampff und konnte, wenn er gut drauf war, eine Anatomievorlesung wie eine Show moderieren.“

 

Das Saarland hat der bekennende Wahlsaarländer kennen und lieben gelernt, er kehrte immer wieder hierher zurück und auch heute noch lebt er hier. Aber er wollte die Welt sehen. Und da nahm er nach dem ersten Staatsexamen zunächst das Tor zur selbigen und ging nach Hamburg, an die dortige Uni. Nach dem zweiten Staatsexamen bildete er sich in verschiedenen Kliniken weiter. „Ich wollte so breit wie möglich aufgestellt sein, gerade auch mit Blick auf meine Auslandspläne, die ich hatte. Ich war auch als Notarzt in Hamburg unterwegs, an der Rettungsstelle mit den meisten Einsätzen im Bundesgebiet. Das war sehr lehrreich“, sagt er.

 

 

Als ein Freund ein 24 Meter langes Segelschiff restaurierte, machte er mit. „Und so kam ich als Landratte zur See. Wir haben das Schiff flottgemacht, dann kündigte ich meine Stelle und wir stachen in See.“ Das war 1981. Fast ein Jahr lang segelten sie an der westafrikanischen Küste, überquerten den Atlantik, segelten in der Karibik. In den Jahren 1982 und 83 bereiste er neun Monate lang Südostasien. In dieser Zeit sammelte er erste Eindrücke von der prekären Gesundheitslage und der mangelnden medizinischen Versorgung in Entwicklungsländern – das war der Ursprung für sein späteres Engagement.

 

Nach seinem Facharzt für Allgemeinmedizin, den er im Saarland erwarb, ereilte ihn erneut der Ruf der großen weiten Welt: Er ging ein halbes Jahr nach Afrika: als Betriebsarzt einer Baufirma in Nigeria. Der schlimme Unfall eines Arbeiters auf der dortigen Baustelle war Anlass für Addicks, sich intensiver in der Chirurgie weiterzubilden: „Darin war ich noch nicht versiert genug, da braucht man als Baustellenarzt im Ausland auch die Fähigkeit, zumindest kleinere Eingriffe wie Blinddarmoperationen, Amputationen oder größere Wundversorgungen durchführen zu können. Ich habe im Laufe der Zeit alle möglichen Klinikabteilungen durchlaufen von Anästhesie, Gynäkologie bis Intensivmedizin. Ich wollte für alles, was mich an medizinischen Fällen erwartete, gewappnet sein.“

 

"Professor Helmut Kulenkampff war der Bruder des damals sehr bekannten Show-Moderators Hans-Joachim Kulenkampff und konnte, wenn er gut drauf war, eine Anatomievorlesung wie eine Show moderieren."

 

So ist Addicks auch Facharzt für Tropenmedizin – was er bestens einsetzen konnte im Laufe der Zeit. Denn die Auslandserfahrung in seinem Lebenslauf entpuppte sich als Selbstläufer. So kam er ordentlich rum als Arzt der Baustellen: Im Irak war er zuständig für über 5.000 Arbeiterinnen und Arbeiter, als in Basrah ein internationaler Flughafen gebaut wurde, er arbeitete ein weiteres Mal in Nigeria, diesmal für vier Jahre, ging dann nach Sichuan in China: „Von Afrika nach China war schon ein starker Gegensatz. Wir waren weit weg von allem im Himalaya.“ Danach folgte Marokko: Zwei Jahre war er ärztlicher Leiter eines Krankenhausprojektes in Ifrane im mittleren Atlas. „Das war sehr schön, wir waren jedes Wochenende in Rabat und das Meer in der Nähe zu haben, ist Lebensqualität.“ Und nach Marokko führte ihn schließlich ein zweites Mal sein Weg: In Marrakesch leitete er ein Entwicklungsprojekt der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit.

 

"Ich sagte mir: ´Wenn Du hier rauskommst, wirst Du dich einsetzen für die Freiheit, die wir in Deutschland haben`."

 

Besonders die Erfahrung im Irak sollte für Addicks prägend werden und seine Zukunft entscheidend beeinflussen: Am 2. August 1990 überfiel der Irak das benachbarte Emirat Kuwait – das war der Beginn des Zweiten Golfkrieges. Zusammen mit vielen weiteren Ausländern und Touristen hielt Saddam Hussein auch Karl Addicks als Geisel für folgende Verhandlungen fest: „Das hätte schiefgehen können“, sagt Addicks. Als er zwei englischen Touristen half, wurde er mit Kerkerhaft bedroht. Er habe damals in Kleidern geschlafen, weil er nächtliche Razzien befürchtete. „Da sagte ich mir: Wenn Du hier rauskommst, wirst Du dich einsetzen für die Freiheit, die wir in Deutschland haben.“ Ein Entschluss, den er Jahre später, nach seiner Zeit im Ausland, und nach einer Zeit mit eigener Praxis in Saarbrücken, in die Tat umsetzte: Für die FDP zog er 2004 in den Deutschen Bundestag. Addicks engagierte sich in der Entwicklungspolitik für die Menschen in Entwicklungsländern und für die Verbesserung ihrer Gesundheitsversorgung.

 

"Die Politik tut gut daran, die Universität hierbei nach Kräften zu unterstützen und die notwendigen Gelder fließen zu lassen."

 

Und wie sollte die Universität sich aus seiner Sicht entwickeln? „Sie sollte das fortsetzen, was Sie tut: Die Schwerpunkte weiter stärken: die Informatik, Medizin, Bio- und Nanowissenschaften und das Internationale – natürlich –, und auch den Technologietransfer. Sie sollte die Gründung neuer Unternehmen weiter unterstützen, neue Institute gründen und weitere Ansiedlungen großer Forschungsverbünde an Land ziehen – so wie schon bei Helmholtz oder Fraunhofer. Im Saarland herrschen dafür ideale Bedingungen, wir haben hier kurze Wege und einen kurzen Draht. Und die Politik tut gut daran, die Universität hierbei nach Kräften zu unterstützen und die notwendigen Gelder fließen zu lassen“, so Karl Addicks Antwort. – Wer welterfahren ist und einen Blick über den Horizont geworfen hat, hat eben den Durchblick und versteht die Zusammenhänge besser. Stimmt.

Text:Claudia Ehrlich
Claudia Ehrlich
24.02.2021
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Dr. med. Karl Addicks

Geboren am 31.12.1950, in Amberg in der Oberpfalz

Facharzt für Allgemeinmedizin und Tropenmediziner

2004 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages, Sprecher für Entwicklungszusammenarbeit der FDP-Fraktion, Koordinator der interfraktionellen Arbeitsgruppe "Gesundheit in Entwicklungsländern", Stellvertretendes Mitglied Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe,

Mitgliedschaften unter anderem in der Deutschen Afrika Stiftung, Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft, CARE Deutschland-Luxemburg, von amnesty international, in der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft und in der Deutsch-Arabischen Gesellschaft.

Addicks engagiert sich vor allem für die Gesundheitsproblematik in Entwicklungsländern, hier vor allem im Bereich von Malaria, AIDS, Tuberkulose und tropischen Armutskrankheiten und in Grundfragen der Entwicklungspolitik.

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