Karriere im Ausland
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Wie Kollege Zufall eine Karriere in Madagaskar in Schwung brachte

Mariele Eichholz wollte eigentlich nach Mannheim, studiert hat sie dann an der Universität des Saarlandes. Dabei hat der Zufall eine große Rolle gespielt. Dieser war Jahre später auch mit dafür verantwortlich, dass Mariele Eichholz heute an der Universität Antananarivo als Lektorin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes DAAD arbeitet. Den Studierenden in Madagaskar bringt sie insbesondere die deutsche Sprache und Wissenschaftskultur nahe.

© Thorsten Mohr

Mariele Eichholz bei ihrem Besuch im Saarland, wo sie unter anderem ihre ehemalige Universität besuchte.

„Eigentlich wollte ich ja nach Mannheim. Dort hatte ich schon eine Zusage für ein Zimmer im Studentenwohnheim, und kurz darauf wollte ich mit dem Studium in ‚Kultur und Wirtschaft‘ beginnen“, berichtet Mariele Eichholz. „Kurz darauf“ war im Jahr 2008, als die damals 19-Jährige aus Iserlohn nach dem Abi zum Studieren aufbrach. Etwas in Richtung BWL sollte es sein, aber nicht nur. „Kultur und Wirtschaft hörte sich gut an“, erinnert sich die 34-Jährige an die Zeit damals. „Ein bisschen alibimäßig habe ich mich dann auch an ein paar anderen Unis beworben, darunter auch an der Universität des Saarlandes. Dort habe ich mich neben BWL auch für Interkulturelle Kommunikation beworben, was ich auf dem Bewerbungsbogen entdeckt habe.“ Kurzerhand kreuzte Mariele Eichhorn also auch hier das Kästchen an, mit dem die Wunschfächer benannt werden. „Und nur kurze Zeit später hatte ich bereits die Zusage für beide Fächer aus Saarbrücken, bevor Mannheim überhaupt erst eine erste Antwort geschickt hat“, sagt sie rückblickend und erzählt etwas amüsiert weiter: „Ich musste dann erstmal nachlesen, was IK überhaupt genau ist. Dann habe ich gemerkt, dass das nicht so weit weg ist vom Studiengang in Mannheim. Als Nebenfach habe ich dann noch BWL gemacht.“ So hat Kollege Zufall zum ersten Mal ihren Weg gekreuzt.

Ins Berufsleben startete sie dann bilderbuchartig: Innerhalb der Regelstudienzeit schloss sie Ende 2011 ihr Bachelorstudium ab und wurde unmittelbar danach Assistentin der Geschäftsführung bei Saint-Gobain in Brebach. Fünf Jahre lang unterstützte sie die dortige Führungsetage mit vorbereitender Arbeit. „Das war eine sehr schöne Zeit, aber mir wurde mit der Zeit klar, dass ich das nicht ein Leben lang machen möchte“, sagt Mariele Eichholz. Im Jahr 2015, auf dem Höhepunkt der sogenannten „Flüchtlingswelle“ aus Syrien, hat sie auch eine syrische Familie nach ihrer Ankunft im Saarland betreut. So wurde ihr Interesse geweckt, die deutsche Sprache für Nicht-Muttersprachler zugänglich zu machen. Und wie es, natürlich, der Zufall will, gibt’s dazu in Saarbrücken gleich den passenden Studiengang, und zwar „Deutsch als Fremdsprache“. „Damals konnte ich mich dann ohne Germanistik-Vorbildung für den Master einschreiben“, berichtet Mariele Eichholz. Den Master hat sie, wieder wie im Bilderbuch, binnen drei Jahren berufsbegleitend durchgezogen, parallel zu ihrer Arbeit bei Saint-Gobain, die sie auf 50 Prozent reduzieren konnte.

Im Laufe des Masterstudiums kam dann Kollege Zufall ein weiteres Mal vorbeispaziert. „Damals dachte ich: ‚Einmal ins Ausland gehen, das wäre ja auch ganz schön‘.“ Als dann in der Kirchengemeinde, in der sie damals aktiv war, ein Jugendreferent aus Madagaskar arbeitete, motivierte der sie, ein Praktikum im Goethe-Zentrum der Hauptstadt Antananarivo zu machen. Gesagt, getan. „Das war eine sehr chaotische Zeit“, sagt sie über die sieben Monate Ende 2017, Anfang 2018. Damals gab es einen Pestausbruch in Madagaskar. Viele Einrichtungen, darunter die Uni und das Goethe-Zentrum, wurden damals geschlossen. „Trotzdem hat mir die Zeit dort sehr gefallen“, sie konnte viel lernen und – wenn auch eingeschränkt – den Einheimischen die deutsche Sprache und Kultur vermitteln.

 

© Thorsten Mohr

Seit 2019 bin ich als DAAD-Lektorin eine Vermittlerin zwischen beiden akademischen Welten.

Mariele Eichholz

 

Kaum wieder zuhause, hat sie dann im Herbst 2018 kurz vor ihrem Masterabschluss eine Stellenausschreibung gesehen: Der Deutsche Akademische Austauschdienst hat die  Germanistik-Lektoratsstelle in Madagaskar ausgeschrieben. Kollege Zufall schlenderte da – inzwischen wohl routiniert fröhlich pfeifend – abermals durch ihr Leben. Sie bewarb sich und bekam prompt den Zuschlag. „Seit 2019 bin ich also dort und als DAAD-Lektorin eine Vermittlerin zwischen beiden akademischen Welten“, fasst sie ihre Funktion zusammen. Seitdem vermittelt Mariele Eichholz die deutsche Sprache und Kultur an der Universität Antananarivo, organisiert eine deutschsprachige Theatergruppe, koordiniert Projekte zur Berufsqualifizierung, zum Beispiel Workshops zur Kundenkommunikation und eine Kurzfilm-Reihe, in der Französisch-Studierende aus Deutschland und Germanistik-Studierende aus Madagaskar ihr Studentenleben schildern. Die Lektorinnen und Lektoren des DAAD sind zwar bei den jeweiligen Universitäten direkt angestellt, erhalten aber vom DAAD selbst finanzielle Unterstützung durch ein Stipendium, da die Bezahlung natürlich sehr davon abhängt, in welchem Land man landet. Im Falle von Madagaskar ist das recht wenig. „Die DAAD-Lektorate sind sehr unterschiedlich aufgestellt. In Frankreich gibt es beispielsweise zirka 50 Lektorinnen und Lektoren, in Madagaskar bin ich die einzige“, sagt Mariele Eichholz.

 

 

Einzigartig dürften auch ihre Arbeitsbedingungen in einem der ärmsten Länder der Erde sein. „Es sind schon schwierige Bedingungen. Es gibt regelmäßig Stromausfälle und auch das Internet ist nicht immer verfügbar. An der Institutsbibliothek ist die neueste Literatur von 1995. Mit meinem Budget kann ich ein wenig neuere Literatur auftreiben.

Auch die madagassische Gesellschaft sei in großen Teilen sehr arm. „Mit ein paar Hundert Euro kann man sehr gut leben, aber die meisten haben viel weniger“, sagt Mariele Eichholz. Im Kontrast dazu stehen beispielsweise große Supermarktketten, in deren Filialen die „Expats“, ausländische Fachleute, die beruflich in Madagaskar leben, und wohlhabende Einheimische mit ihren teuren Autos teure Lebensmittel einkaufen. „Ich könnte auch in so einer Blase leben, das will ich aber nicht.“ Viel lieber geht Mariele Eichholz auf den lokalen Märkten einkaufen, um Land, Leute und Sprache noch besser kennenzulernen.

Diese offene Art bewährt sich offenkundig. Beim Gespräch zu diesem Artikel, das auf dem Saarbrücker Unicampus stattfindet, schlendert auch eine Gruppe madagassischer Studierender vorbei, die zusammen mit Mariele Eichholz gerade einen Studienaufenthalt in Deutschland  absolvieren – natürlich auch im Saarland. Als sie „ihre“ Lektorin durch die Fensterscheibe sehen, wird gewinkt und gelächelt, was das Zeug hält, bevor die Gruppe im nächsten Gebäude verschwindet, um an einem Seminar teilzunehmen.

Ob darunter vielleicht auch Kollege Zufall war, ist nicht bekannt. Wundern würde es hingegen nicht.

Text:Thorsten Mohr
07/12/2022 - 14:36
Thorsten Mohr
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