Alumni-Reihe: Thorsten Wilhelmy
„Motivieren Sie sich über die Sache, nicht über die Karriereoption“

Etwas zu tun, für das man „brennt“ – das war Thorsten Wilhelmy schon im Studium wichtig. Der Literaturbegeisterte folgte seinen Interessen, studierte Vergleichende Literaturwissenschaft. Hier lernte er, sich schnell in neue Themen einzuarbeiten, und hielt den Blick offen für Neues abseits des Bekannten. Im Interview berichtet er, wie er auch ohne vorgezeichneten Karriereplan sein Studium als Sprungbrett nutzte.

Thorsten Wilhelmy, 1973 in Saarbrücken geboren, verbrachte seine Studienzeit an der Universität des Saarlandes. Er studierte Vergleichende Literaturwissenschaft, Germanistik und Geschichte und schätzte vor allem die Bandbreite seines Studiums. Nach der Promotion über Mythosrezeption in Erzähltexten von Thomas Mann, Christa Wolf, John Barth, Christoph Ransmayr und John Banville ging es für ihn nahtlos in der Berufswelt voran – immer eng verbunden mit der Welt der Wissenschaft: Er war tätig in der Begabtenförderung, im Wissenschaftsrat - dem wichtigsten wissenschaftspolitischen Beratungsgremium in Deutschland -, und als Sekretär des Wissenschaftskollegs in Berlin, einer Forschungseinrichtung zur Förderung von Gastwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern. Derzeit baut er die Nordrheinwestfälische Akademie für Internationale Politik auf, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt sowie ihre internationale und interdisziplinäre Vernetzung fördert.

Claudia Ehrlich: Wo arbeiten Sie aktuell? Was ist dort Ihre Aufgabe?

Thorsten Wilhelmy: Ich arbeite als Verwaltungsleiter und Wissenschaftlicher Koordinator an der Nordrhein-Westfälischen Akademie für Internationale Politik in Bonn. Da die Einrichtung im Jahr 2021 neu gegründet wurde, ist es meine Aufgabe, einerseits die administrativen Routinen zu etablieren, andererseits das wissenschaftliche Profil mit zu entwickeln und Personen, Themen und Formate zu identifizieren, die für diese Profilierung wichtig sind. Unser Kerngeschäft ist die Einladung von Gastwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern nach Bonn, und hier bin ich sowohl inhaltlich gefragt als auch im „Brot und Butter“-Segment: Wie werden sie finanziert? Wo kommen sie unter? Welches Personal brauchen wir, um sie bestmöglich zu unterstützen?

Was davon hat mit Ihrem Studium oder anderen Erfahrungen aus Ihrer Uni-Zeit zu tun?

Ich habe nach wie vor viel und gerne mit Texten zu tun – allerdings mit Texten sehr unterschiedlicher Art, juristischen Dokumenten, Redevorlagen, Sitzungsprotokollen und dergleichen. Ich habe im Studium der Literaturwissenschaft gelernt, die Eigentümlichkeiten von Textsorten und Genres zu erkennen und zu analysieren – das hilft, wenn ich heute verschiedene Genres bedienen muss. Ich bewege mich außerdem in einem interdisziplinären Umfeld, und gerade die Komparatistik ist eine hervorragende Vorbereitung auf die Aneignung fremder Wissensbestände. Aber zur Wahrheit gehört auch: Ich brauche viele Dinge, die ich im Studium überhaupt nicht gelernt habe. Um nur einige zu nennen: Verständnis für Institutionen; Arbeit mit Gremien; Budgetplanung; was macht eine gute Leitung aus? Für all das gab es an der Universität keine wirkliche Musikalität.

Wie sah Ihr Weg von der Saar-Universität bis in diese Position aus?

Ich habe ziemlich bald nach Abgabe der Dissertation als Referent beim Cusanuswerk, der katholischen Begabtenförderung in Bonn angefangen, zunächst befristet für ein Jahr, wofür ich glücklicherweise zur Verfügung stand, weil ich sonst nichts hatte – aus dem einen Jahr wurden dann fünf. Eine wunderbare erste Stelle und so etwas wie eine zweite Universität in der Bandbreite der Aufgaben: Vorbereitung von Akademien und Seminaren in verschiedenen Fachbereichen, Auswahlgespräche mit Bewerberinnen und Bewerbern, Beratung der Stipendiatinnen und Stipendiaten. Ich bin dann zum Wissenschaftsrat nach Köln gegangen und war dort vier Jahre Referent im Bereich Tertiäre Bildung (also Studium und Lehre, Hochschulen). Der Wissenschaftsrat ist das wichtigste Beratungsgremium für alle Fragen im Bereich der Wissenschaftspolitik – vor allem aber eine ungeheuer professionelle Institution. Und nirgendwo kann man besser verstehen, wie das Wissenschaftssystem funktioniert und wie die Schnittstelle von Wissenschaft und Politik aussieht. Von 2012 bis 2021 war ich dann Sekretär des Wissenschaftskollegs zu Berlin, wo ich das Privileg hatte, mit fantastischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt und aus den unterschiedlichsten Disziplinen im täglichen Kontakt zu sein und für optimale Bedingungen ihres Aufenthalts zu sorgen. Die Rückkehr nach Bonn war dann auch dem Wunsch geschuldet, stärker an aktuellen Fragestellungen zu arbeiten.

Ich wollte in Auswahlprozessen immer wissen, ob mein Gegenüber für eine Sache wirklich interessiert ist, gewissermaßen für etwas 'brennt'.

Thorsten Wilhelmy

Haben Sie Tipps für unsere aktuellen Studierenden in Sachen Karriereplanung?

Nicht zu viel Karriere planen, sondern nach der Kenntnis der eigenen Talente und ihrer Ausschöpfung und Verbesserung streben. Wer einmal erkannt hat, was er oder sie gut kann (und was nicht, das ist schwerer), dem und der fällt es auch leichter, Schritte in die Richtung zu gehen, die passt. Wenn Sie sich bewerben, so preisen Sie nicht sich an, sondern überlegen, was die Einrichtung will und was auf der Stelle gefragt ist. Motivieren Sie sich über die Sache, nicht über den Status, das Prestige, die Karriereoption – ich wollte in Auswahlprozessen eigentlich immer wissen, ob mein Gegenüber für eine Sache wirklich interessiert ist, gewissermaßen für etwas „brennt“.

Welche Fächer haben Sie studiert und welchen Abschluss haben Sie an der Saar-Universität gemacht?

Von 1994 bis 1999 Magisterstudium Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft im Hauptfach, Neuere Deutsche Literatur und Neuere Geschichte in den Nebenfächern. Promotion in der Vergleichenden Literaturwissenschaft bis 2003.

Was hat Ihnen besonders gut an Ihrem Studium an der Universität des Saarlandes gefallen?

Insbesondere in dem kleinen Komparatistik-Institut bewegte man sich unter Überzeugungstäterinnen – Magisterstudium ohne Lehramtsperspektive, das machten nur Literaturbegeisterte. Entsprechend herrschte eine intellektuell anregende Atmosphäre, stand die Literatur im Zentrum nicht bloß der Veranstaltungen, sondern des ganzen Instituts, der Gespräche. Viele von uns dachten natürlich sorgenvoll darüber nach, was wir mal „damit machen" würden, aber das hielt niemanden davon ab, es trotzdem zu machen. Ich mochte auch die Möglichkeit, in anderen Fächern zu schlendern. Ich habe Theologievorlesungen gehört und Veranstaltungen in der Romanistik oder Kunstgeschichte besucht, wenn ich sie interessant fand. Das war ganz unproblematisch, insbesondere für die Komparatisten.

Wie war das Studentenleben damals in Saarbrücken?

Da wird es viele unterschiedliche gegeben haben, wie heute auch. In meinem spielten die Cafés auf dem Campus eine wichtige Rolle, das „Philosophencafé“, in dem wir oft schon vor der ersten Veranstaltung saßen, das Canossa, das „Ausländercafé“. Sehr campuszentriert alles. Ich hatte aber immer viele Freunde, die nicht studierten, weshalb ich wohl weniger als andere ganz im Studentenleben aufgegangen bin.

An welche Vorlesungen oder Seminare und Begegnungen an der Universität haben Sie besondere Erinnerungen?

Anke-Marie Lohmeiers Hauptseminare zu den „Türstoppern“ der Germanistik: Johnsons „Jahrestage“ (vier Bände), Thomas Manns „Joseph“ (vier Bände). Eine Übung in der Komparatistik, die „Proust lesen“ hieß und eigentlich eine Selbsthilfegruppe war, damit wir alle das Ding in einem Semester gelesen hatten; eine Vorlesung von Karl Richter zu Kafka, die den ganzen Müll, mit dem die Schule mir Kafka in der Mittelstufe verstopft hatte, gottseidank wegräumte. Ganz deutlich aber mein erstes Semester in der Komparatistik: Zwei Veranstaltungen bei Kerst Walstra, hinterher hatte ich Jorge Luis Borges, Thomas Pynchon, Leonardo Sciascia, Lars Gustafsson, Scott Fitzgerald und Gerhard Rühm kennengelernt – und ich dachte: Hier bin ich richtig. Im Rückblick würde ich lediglich sagen: Ein paar Autorinnen wären auch gut gewesen...

Gibt es Anekdoten aus Ihrer Zeit an der Universität des Saarlandes?

Ich weiß nicht mehr in welchem Jahr Ende der 90er, da traten die Studentinnen und Studenten in den Ausstand, wir „streikten“, ich denke, es ging um die Finanzierung der Universität. Das war sicher ein wichtiges Anliegen, aber diese ganzen Gesten des Protests hatten auch etwas Geborgtes, halb Karneval, halb Hochstapelei, als spielte unsere Generation jetzt auch mal „ihre“ Studentenrevolte. Ich erinnere mich an eine Versammlung im Audimax, bei der die nächsten Schritte besprochen werden sollten, und eine Kommilitonin trat ans Mikro und forderte, man müsse, bei nicht adäquater Berichterstattung, auch mal ein Fernsehstudio stürmen. Tosender Applaus. Das war der Moment, an dem meine Revoltenenergie im Lächerlichen verpuffte.

Wer oder was hat Ihr Studium stark geprägt?

Lektüre. Das Privileg, viele Angebote (Vorlesungen, Seminare) wahrnehmen zu können, aber sie auch abzubrechen, wenn sie mich nicht interessierten. Die Freiheit, diese Zeit dann in andere Lektüren zu investieren. Ich habe später im Studium weniger Veranstaltungen besucht, aber die umso intensiver wahrgenommen. Ich hatte außerdem das große Glück, vom dritten Semester an vom Cusanuswerk gefördert zu werden, und die Bildungsveranstaltungen im In- und Ausland, die ich in dieser Zeit besucht habe, die Menschen, die ich dort kennenlernte, haben – auch über das Studium hinaus – eine wichtige Rolle gespielt. Prägend war aber auch die wiederkehrende Frage: Führt das jemals irgendwohin? Kann man damit mal Geld verdienen? Kann ich am Ende irgendetwas?

Was würden Sie heutigen Studierenden für ihre Studienzeit empfehlen?

Damit tue ich mich schwer. Vielleicht, abgeleitet aus dem oben Gesagten: Das Studium als Gelegenheit verstehen, die Dinge zu entdecken, für die man/frau sich wirklich begeistern kann. Wer „lau“ studiert, der oder die verschwendet doch Lebenszeit. Fontane: „Unglücklich sind immer bloß die Halben.“ Wer einmal erkannt hat, was er oder sie gut kann (und was nicht, das ist schwerer), dem und der fällt es auch leichter, Schritte in die Richtung zu gehen, die passt.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, die Uhr zurückzudrehen: Würden Sie im Rückblick etwas anders machen?

Mindestens ein Semester ins Ausland gehen. Mein aktives Französisch trainieren, was gerade an der Saar-Uni eine Selbstverständlichkeit sein und zu einem Standortvorteil werden sollte.

Aus welchen Gründen fühlen Sie sich heute noch mit der Universität des Saarlandes verbunden?

Ich verbinde mit jeder biographischen Station bestimmte Lernerfahrungen und Horizonterweiterungen. In Saarbrücken war die Literaturwissenschaft eine wunderbare und intellektuell anspruchsvolle Schule, wofür ich dankbar bin. Zugleich bin ich als Saarländer der Universität auch weiterhin verbunden, da ich um ihre immer wichtiger werdende Rolle für die Region weiß. Auch wenn die Industrie gerade meine Heimat Saarlouis/Dillingen noch prägt, so ist doch die Profilierung als Wissenschaftsstandort von überragender Bedeutung für die Zukunft des ganzen Landes. Deshalb verfolge ich die KI-Entwicklungen und das, was am MPI passiert mit ebenso viel Neugier wie die Europaforschung. Und last but not least: Gerade die mittelgroßen Universitäten, die nicht in Metropolen liegen, sind (wie die Fachhochschulen auch) vielfach Sozialisationsinstanzen für Studierende, die nicht aus Akademikerfamilien stammen. Im Saarland, wo das Bildungsbürgertum nicht prägend ist, leistet die Universität eine enorm wichtige Aufgabe. Das mag nicht so glamourös klingen wie „Exzellenz“ und soll auch gar nicht dagegen ausgespielt werden. Universitäten sind aber Einrichtungen der „Higher Education“, und dieser Dimension der Universität des Saarlandes fühle ich mich besonders verbunden.

Saarbrücker Komparatistik

Aus Anlass des 70-jährigen Jubiläums der Saarbrücker Komparatistik hat das Lehrstuhl-Team von Professorin Christiane Solte-Gresser im Jahr 2021 mit Studierenden der komparatistischen Studiengänge eine digitale Ausstellung ins Leben gerufen: Hier finden sich zahlreiche Texte, Bilder, Filme und Hördateien, die einen Einblick in Geschichte, Forschung, Studiengänge, Lebensläufe von Absolventinnen und Absolventen und vieles mehr rund um die Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität des Saarlandes geben. Auch Thorsten Wilhelmy hat ein Online-Interview beigetragen.

Das Online-Interview von Thorsten Wilhelmy finden Sie unter diesem Link.

Die digitale Ausstellung zu 70 Jahren Komparatistik finden Sie auf dieser Webseite.

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