Die Psychologie ist auf der Suche nach allgemeingültigen Erkenntnissen über den Menschen. Ihre Forschung sollte daher international sein und viele verschiedene Kulturen einbeziehen. Darin hat die Arbeits- und Organisationspsychologie an der Saar-Universität einen deutschlandweit einzigartigen Schwerpunkt entwickelt – von dem auch die Studierenden profitieren.
Nida Bajwa im grünen "Hinterhof" des Psychologie-Gebäudes auf dem Campus. Fotos: Sieber
Ob im Irak, in Kenia, Spanien, Jordanien oder Pakistan – der Psychologe Nida Bajwa hat in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Forschungskooperationen mit Hochschulen im Ausland initiiert und geleitet. Zentrales Thema vieler Projekte: „Entrepreneurship“, zu Deutsch „Unternehmertum“. Seit über zehn Jahren arbeitet Bajwa in diesem interdisziplinären Wissensgebiet. „Daran beteiligt sind vor allem Betriebswirtschaftslehre, Soziologie und Psychologie“, sagt der Saarbrücker Arbeits- und Organisationspsychologe. Sein wissenschaftlicher Fokus ist die Psychologie des Unternehmertums. „Bei unseren Projekten mit Partnerhochschulen wollen wir beispielsweise mithilfe von Workshops für eine Organisationskultur sensibilisieren, die Unternehmensgründungen fördert. Studierende sollen unterstützt werden, ihre Potenziale besser zu nutzen und unternehmerisches Denken zu entwickeln“, erläutert er.
Doch warum initiiert die Saarbrücker Arbeits- und Organisationspsychologie Projekte in Asien oder Afrika? „Fast alle Erkenntnisse der Psychologie beruhen auf Studien aus westlichen Ländern – in der Regel aus Europa und den USA“, erklärt der Wissenschaftler. Man müsse sich daher fragen, ob diese Forschungsergebnisse überhaupt generalisierbar sind. „Uns geht es doch um allgemeingültige Erkenntnisse; beispielsweise fragen wir nach grundlegenden menschlichen Bedürfnissen, und hierfür müssen wir als Psychologen kulturelle Besonderheiten besser verstehen“, gibt er zu bedenken. Bereits während seiner Promotion hat er sich mit der Generalisierbarkeit psychologischer Forschung im globalen Kontext auseinandergesetzt, doch das sei damals noch sehr abstrakt geblieben, meint er.
Seit 2018 leitet Nida Bajwa auch internationale „Kapazitätsaufbauprojekte“, bei denen die Lehre im Bereich Entrepreneurship um psychologische Inhalte angereichert wird. Aus früheren Studien sei bekannt, wie wichtig psychologische Skills für den Unternehmenserfolg sein können; für die Länder des Globalen Südens gelte dies umso mehr, erzählt der Psychologe, dessen Eltern aus Pakistan stammen: „Auf dem Arbeitsmarkt in Kenia, Jordanien dem Irak oder Pakistan gibt es einen großen informellen Sektor – was bedeutet, dass viele Menschen zwar nicht als Arbeitslose gelten, aber auch keine feste Arbeit haben. Hier kommen ganz andere Formen von Unternehmertum in Frage, und gerade bei diesen spielen psychologische Fähigkeiten wie Proaktivität eine entscheidende Rolle für den langfristigen Erfolg.“
Bei der Cybersicherheit muss man immer den Menschen mitdenken, der das Gerät benutzt
Und wie fällt sein Resümee zu den internationalen Projekten aus? „Etliche unserer Ziele und Vorstellungen konnten wir verwirklichen; so haben wir Kooperationen mit pakistanischen Forscherinnen und Forschern aufgebaut, die die gleichen wissenschaftlichen Interessen haben. Und: Beim Abarbeiten der Themen waren auch unsere Doktoranden und Studierenden mit eingebunden“, freut sich Bajwa. Ein offizieller Erfolg hat sich kürzlich eingestellt: Auf einer renommierten Fachkonferenz wurde eine gemeinsame Publikation der Saarbrücker Wissenschaftler und ihrer Partner aus Lahore als beste Veröffentlichung prämiert. Gegenstand ihrer Untersuchung: die Wahrnehmung von Cyber-Bedrohungen und -Verbrechen unter jungen Erwachsenen in Pakistan – einem Land, in dem es kaum gesetzliche Regelungen für den Cyberspace und Cyber-Verbrechen gibt.
Dass einige der untersuchten Phänomene aus den internationalen Projekten durchaus auch für Europa interessant sein könnten – beispielsweise das Thema Cybersicherheit –, fiel dem Saarbrücker Team „während der Corona-Schockstarre“ auf, als plötzlich etwas Zeit war, die Projekte zu überdenken. „Bei der Cybersicherheit muss man immer den Menschen mitdenken, der das Gerät benutzt“, betont Bajwa. „Da können wir als Psychologen zum Beispiel die Expertise einbringen, wie sich menschliches Erleben und Verhalten systematischer greifen und valide messen lässt.“ In Pakistan, wo technische Fächer den Fokus meist nur auf ihren eigenen Bereich richten und es bislang kaum interdisziplinäre Zusammenarbeit gebe, hätten die psychologischen Trainingsmaßnahmen großen Anklang gefunden, erzählt er.
„Uns wurde irgendwann klar, dass wir bei uns das gleiche Problem haben, und dass es auch innerhalb der EU sinnvoll wäre, fähige Leute zusammenzubringen und ein Cybersicherheits-Training zu entwickeln“, meint Bajwa. Er kontaktierte Kollegen aus der Informatik, die seinen Vorschlag zur interdisziplinären Zusammenarbeit gerne annahmen. „Und das machen wir seitdem auch auf europäischer Ebene, zum Beispiel in unserem Projekt ‚Cybersecurity for Psychology‘ zusammen mit Kollegen des CISPA sowie aus Estland und den Niederlanden.“
Ich verknüpfe die internationalen Projekte mit der Lehre, um unseren Studierenden zu zeigen, wie vielfältig das arbeitspsychologische Arbeitsfeld ist.
Also beflügeln internationale Projekte allgemeine Erkenntnisse? – „Auf jeden Fall“, sagt Bajwa, „Projektarbeit im Ausland hilft uns als Psychologen, Erkenntnisse zu generalisieren, die derzeit noch nicht international validiert sind.“ Und es gibt ein weiteres wichtiges Ziel: „Ich verknüpfe die internationalen Projekte mit der Lehre, um unseren Studierenden zu zeigen, wie vielfältig das arbeitspsychologische Arbeitsfeld ist.“ Das geschieht durch ein Angebot an Abschlussarbeiten, bei denen Studierende der Psychologie mit Projektpartnern weltweit arbeiten können. Aber auch im Rahmen von Praxisseminaren im Masterstudium. So arbeiten die Studierenden beispielsweise im Cybersicherheits-Projekt mit Estland und den Niederlanden mit. Dabei können sie, dank Förderungen durch Erasmus+, auch an Summerschools in Estland und den Niederlanden teilnehmen.
„Erkenntnisse aus internationalen Projekten führen dazu, dass man Handlungsmuster, die von den eigenen Erfahrungen geprägt sind, reflektiert“, erklärt Nida Bajwa. Zudem entstünden durch den internationalen und interdisziplinären Austausch auch ganz neue Ideen. Daher seien für alle, die später in Betrieben als Arbeits- und Organisationspsychologen arbeiten wollten, Internationalität und Interdisziplinarität in der Hochschulausbildung unerlässlich, ist der Wissenschaftler überzeugt. Als Hochschullehrer wirbt er: „In dieser Hinsicht sind Expertise und Angebot der Saarbrücker Psychologie deutschlandweit einzigartig – und Leute mit diesem Interessensschwerpunkt sind bei uns sehr gut aufgehoben.“
Arbeits- und Organisationspsychologie
Menschen und ihr Erleben und Verhalten bei der Arbeit – sei es in Unternehmen, Organisationen oder bei der Gründung ihres eigenen Start-ups: Das ist das Forschungsfeld der Arbeits- und Organisationspsychologie, eine von insgesamt zehn Arbeitseinheiten der Psychologie an der Universität des Saarlandes.
Link zur Projektwebseite von „Cybersecurity for Psychology“: www.cysec4psych.eu
Link zum Cybersecurity-Projekt mit Pakistan: www.recypher.eu