Alumni-Reihe: Prof. Kurt Becker
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"Karriereplanung ist zu je einem Drittel Planung, Zufall und Networking"
Kurt Becker wird 2022 zum Botschafter der Saar-Uni an der New York University ernannt

Seit rund vier Jahrzehnten forscht und lehrt der Physiker Kurt Becker in den USA. Als Professor für Angewandte Physik sowie für Maschinenbau und Luft- und Raumfahrttechnik an der New York University ist er stets auf der Suche nach innovativen Forschungsthemen und wissenschaftlichen Kooperationspartnern. Darüber hinaus ist er als Vize-Dekan zuständig für den Technologietransfer und die Gründerzentren seiner Universität. Über Erfahrungen aus seinem Physik-Studium in Saarbrücken und über seinen beruflichen Werdegang berichtet er im Interview mit dem Webmagazin „campus“.

Text:Gerhild Sieber

Webmagazin "campus": Herr Professor Becker, wo arbeiten Sie aktuell, und was sind Ihre Aufgaben?

Prof. Kurt Becker: Seit fast 15 Jahren arbeite ich an der New York University Tandon School of Engineering. Hier bin ich Vize-Dekan für Forschung, Innovation und Entrepreneurship und Professor für Angewandte Physik sowie für Maschinenbau und Luft- und Raumfahrttechnik. Darüber hinaus habe ich eine Honorarprofessur an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Meine Aufgabenbereiche sind einerseits die Forschung, andererseits Innovation und Entrepreneurship. Auf der Forschungsseite helfe ich unseren Wissenschaftlern, aktuelle und zukunftsträchtige Forschungsthemen zu identifizieren und Synergien mit bei uns existierenden Forschungsinteressen und -kapazitäten herzustellen. Meine Aufgabe ist es, unsere Wissenschaftler bei der Beschaffung von Drittmitteln zu unterstützen und Kooperationen innerhalb der New York University, mit der Industrie und mit anderen Universitäten in den USA und auf internationaler Ebene zu fördern. Im Bereich Innovation und Entrepreneurship schaffe ich Strukturen und Rahmenbedingungen, die den Technologietransfer unterstützen, die es also ermöglichen, wissenschaftliche Erkenntnisse in neue Produkte, Prozesse oder Serviceleistungen umzusetzen. Zudem trage ich die Verantwortung für unsere „Future Labs“, die man auf Deutsch „Gründerzentren“ nennen würde.

Wie hat Ihr Weg von der Saar-Universität bis in diese Position ausgesehen?

Von Saarbrücken führte der Weg zunächst zur University of Windsor in Kanada, danach an die Lehigh University in Pennsylvania in den USA. Ab 1988 war ich dann ununterbrochen in oder um New York tätig: an der City University of New York, dem Stevens Institute of Technology in Hoboken vor den Toren der Stadt New York und seit 2007 an der New York University.

Wie sind Sie nach Ihrem Uni-Abschluss an Ihre erste Stelle gekommen?

Kurz vor Ende meiner Doktorandenzeit hatte ich mich für ein Forschungsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) beworben, um für zwei Jahre bei Professor McConkey an der University of Windsor, Kanada, zu forschen. An dieser Stelle muss ich der Vereinigung der Freunde der Universität des Saarlandes ein großes Dankeschön aussprechen: Sie hat mir im Jahr 1981 Mittel zur Verfügung gestellt, um eine wichtige Tagung in den USA zu besuchen. Dort habe ich Prof. McConkey, mit dem ich bereits korrespondiert hatte, persönlich kennengelernt, und wir haben dort meinen Postdoc-Aufenthalt bei ihm geplant, den die DFG dann finanziert hat.

Engagiert Euch so früh wie möglich in Projekten und Forschung, geht auf Tagungen, zeigt die Resultate Eurer Arbeit, sprecht Leute an, macht Euch in Eurer Disziplin bekannt.

Kurt Becker

Was würden Sie unseren aktuellen Studierenden hinsichtlich ihrer Karriereplanung raten?

Karriereplanung ist ein Drittel Planung, ein Drittel Zufall und ein Drittel Networking. Jeder hat Pläne für die Zukunft (etwa: Wo sehe ich mich in zehn Jahren?), und davon sollte man sich auch leiten lassen. Den Zufall kann man nicht kontrollieren, aber man sollte ihn erkennen und nutzen, auch wenn die sich bietende Gelegenheit vielleicht nicht so ganz in die geplante Zukunft passen mag. Ein ganz wichtiger Faktor ist Networking: Engagiert Euch so früh wie möglich in Projekten und Forschung, geht auf Tagungen, zeigt die Resultate Eurer Arbeit, sprecht Leute an, macht Euch in Eurer Disziplin bekannt. In der Welt der Start-ups heißt das „customer discovery, get out of the building, maximize product-market fit“, und das trifft heute auch auf den Wissenschaftsbereich zu.

Welche Fächer haben Sie studiert, und welchen Abschluss haben Sie an der Saar-Universität gemacht?
 

Ich habe Physik studiert und 1978 mit dem Diplom abgeschlossen. 1981 habe ich dann in Saarbrücken promoviert mit „summa cum laude“. Für meine Doktorarbeit hat mir die Vereinigung der Freunde der Universität des Saarlandes einen Eduard-Martin-Preis verliehen – auch dafür möchte ich der Vereinigung danken. Die Eule hat mich auf allen Stationen meines beruflichen Werdegangs begleitet und nimmt heute einen prominenten Platz auf meinem Schreibtisch ein.

Was hat Ihnen besonders gut an Ihrem Studium gefallen, und wie war das Studentenleben damals in Saarbrücken?

Ich möchte vorausschicken, wie ich damals zum Studium in Saarbrücken kam: Ich bin der erste in meiner Familie mit einem Gymnasialabschluss, der danach zur Universität ging. Geld war knapp, so dass zunächst nur eine Universität in Frage kam, wo ich noch zu Hause wohnen konnte. Da ich aus Zweibrücken komme, standen die 1970 neu gegründete Universität Kaiserslautern und die Universität des Saarlandes zur Debatte. Nach einigen Besuchen fiel meine Wahl auf die Saar-Uni mit ihrer etwas abgelegenen Lage mitten in der Natur. Die Sportschule war ein zusätzliches Plus. Ich war begeisterter Skifahrer, und die Sportschule bot jedes Jahr mehrere Skikurse in Saalbach in Österreich an (beim „Sepp“ auf der Hütte). Das Campusleben an der Saar-Uni, insbesondere als ich nach dem Vordiplom ins Studentenwohnheim D auf dem Campus einzog, war geprägt von einer Mischung aus konzentriertem Studieren und vielen Stunden im Labor, zahlreichen Möglichkeiten, sich an Aktivitäten außerhalb des Studien- und Lehrplans zu beteiligen und dem Erleben einer schon damals internationalen Atmosphäre innerhalb einer sonst eher etwas „verschlafenen“ Universität. Die Nähe zu Frankreich und Luxemburg hatte schon damals viele Studenten aus den Nachbarländern angezogen. Dazu kamen, insbesondere in den Studentenwohnheimen, viele Studenten aus den ehemaligen französischen Kolonialgebieten in Afrika. Das Wohnheim D war in vieler Hinsicht kulturell (und kulinarisch) bereits in den siebziger Jahren eine United Nations von Studenten aus vielen Ländern.

Gibt es Anekdoten aus Ihrer Zeit an der Universität des Saarlandes?

Unter den vielen Anekdoten nimmt eine einen besonderen Platz ein. Nach einer Feier, eigentlich ohne viel Alkohol, hatte ein Freund, der auch bei Professor Schulz promovierte, die Idee, mit seinem Auto durch das relativ große Foyer des damaligen Physikgebäudes zu fahren. Wir machten die Doppeltüren auf beiden Seiten des Gebäudes weit auf, und es ging los… Wir waren mitten im Foyer, als die Aufzugstür aufging und unser Doktorvater heraustrat. Wir hielten an und haben ihn nur sprachlos angestarrt. Er starrte zurück. Es wurde kein Wort gewechselt. Er ging weiter, und wir beendeten unsere Fahrt. Wir haben danach niemals auch nur ein Wort über diese Eskapade verloren.

Nutzt das intellektuell reichhaltige Angebot der Universität, eine solche Vielfalt an stimulierenden Aktivitäten wird Euch nie wieder geboten werden.

Kurt Becker

Wer oder was hat Ihr Studium stark geprägt?

Mein Studium wurde von zwei Professoren geprägt: von meinem Doktorvater, Professor Günther Schulz, und von Professor Rolf Siems, bei dem ich fünf Semester theoretische Physik hörte und bei dem ich sowohl im Vordiplom als auch im Diplom die theoretische Physikprüfung ablegte. Ich habe erst viel später erkannt, wie stark der Einfluss dieser Professoren auf meinen beruflichen Werdegang, und zum Teil auch auf mein persönliches Leben war. Professor Siems hat mir die Tür zur theoretischen Physik geöffnet, mit der ich immer auf Kriegsfuß stand. Erst viel später habe ich erkannt, wie pädagogisch geschickt er komplexe Zusammenhänge verständlich gemacht hat. Professor Schulz hat mir wissenschaftlich sehr viel Freiheit gelassen, im Rahmen meiner Dissertation eigene Ideen zu verfolgen und auch Fehler zu machen (und daraus zu lernen). Er hat mich ermutigt, mich nicht zu eng auf meine Thematik zu fixieren, sondern breiter und weiter zu denken und meine Arbeit im Kontext zu sehen. Ich habe diesen Stil später selbst bei meinen eigenen Doktoranden mit Erfolg praktiziert. Von ihm habe ich auch früh gelernt, dass man seine Resultate auf Tagungen und Konferenzen präsentieren und dem kritischen Urteil anderer aussetzen muss und von deren Kritik und Kommentaren lernen kann. Mein Doktorvater hat aber auch zu meiner persönlichen Entwicklung beigetragen, denn in der Arbeitsgruppe Schulz wurde nicht nur geforscht und über Physik geredet; es war eine Atmosphäre, in der beim Kaffee auch über Themen gesprochen wurde wie Musik, Literatur, Politik und über das Elsass, für das Professor Schulz eine sehr starke Affinität hatte – sowohl zur Landschaft und den Menschen als auch zum Wein und den kulinarischen Spezialitäten. Ich denke noch gerne zurück an zahlreiche Gruppenausflüge in die nahegelegenen Vogesen.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, die Uhr zurückzudrehen: Was würden Sie im Rückblick anders machen? 

Was die großen Entscheidungen anbetrifft und die Dinge, die den späteren Weg entscheidend beeinflusst haben, kann ich nur mit Edith Piafs Chanson „non, je ne regrette rien“ antworten. Im Detail hätte ich vielleicht die „Work-Life-Balance“ etwas mehr in Richtung „life“ verschieben können und mich mehr an Aktivitäten außerhalb des Lehr- und Studienplans beteiligen sollen. Daher mein Rat an alle Studenten heute: Nutzt das intellektuell reichhaltige Angebot der Universität, eine solche Vielfalt an stimulierenden Aktivitäten wird Euch nie wieder geboten werden.

Aus welchen Gründen fühlen Sie sich heute noch mit der Universität des Saarlandes verbunden?

Meine Verbundenheit zur Saar-Uni ist relativ jung. Zu der Zeit, in der ich mein Studium und meine Promotion abschloss, hatten in Deutschland die Verbundenheit zur Universität und die Alumniarbeit keinen hohen Stellenwert. Darüber hinaus musste ich mich in der ersten Phase meiner beruflichen Entwicklung in den USA in einer neuen Umgebung etablieren. Sie war geprägt von den Herausforderungen eines mir unbekannten akademischen Systems und einer mir fremden Forschungsförderungslandschaft. Da blieb keine Zeit, viel an die Vergangenheit in Deutschland und in Saarbrücken zu denken. Die Saar-Uni erschien wieder auf meinem Radarschirm, als mir vor knapp zehn Jahren mehrere Forschungsanträge aus Saarbrücken zur Begutachtung zugesandt wurden. Kurz danach erhielt ich die Nachricht vom Ableben von Professor Stefan Hüfner, mit dem ich sehr verbunden war. Die vielen Jahre an amerikanischen Universitäten hatten mir inzwischen auch eine neue Perspektive für den Stellenwert der Alumni und der Beziehung zu ihrer Universität gegeben, sowohl aus der Sicht der Universität als auch für Ehemalige. Ich begann, regelmäßig die Webseiten der Saar-Uni anzuschauen und verfolgte insbesondere Nachrichten über die Entstehung neuer Forschungszentren und dann auch über die Gründerszene. Vor kurzem habe ich dann die Gelegenheit wahrgenommen, das Internationale Alumnibüro der Universität zu besuchen und mich über dessen Arbeit und Zukunftspläne zu informieren. Das hat bei mir das Interesse geweckt, mich ich Zukunft mehr für meine „alte“ Universität und deren Professoren und Studenten zu engagieren.

Titelfoto: Thorsten Mohr
Gerhild Sieber

Das Wohnheim D war in vieler Hinsicht kulturell (und kulinarisch) bereits in den siebziger Jahren eine United Nations von Studenten aus vielen Ländern.

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Prof. Dr. Kurt Becker

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Kurt Becker absolvierte 1978 sein Diplom in Physik an der Saar-Uni. 1981 schloss er seine Promotion in Saarbrücken mit „summa cum laude“ ab; sie wurde von der Vereinigung der Freunde der Universität mit dem Eduard-Martin-Preis ausgezeichnet. Von Saarbrücken führte Beckers Weg über die University of Windsor in Kanada an die Lehigh University in Pennsylvania in den USA. Ab 1988 war er in oder um New York tätig: an der City University of New York, dem Stevens Institute of Technology in Hoboken vor den Toren der Stadt New York und seit 2007 an der New York University.
(Foto: NYU Tandon School of Engineering)