Alumnus-Interview mit Riccardo Pozzo
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„Denken Sie über den eigenen Tellerrand hinaus!“

Nach seinem Philosophie-Studium in Mailand wurde Riccardo Pozzo in den 1980er Jahren in Saarbrücken promoviert. Später lehrte der Professor für Philosophiegeschichte in den USA, bevor er nach Italien zurückkehrte. Im Interview berichtet er, dass er Mobilität und das Denken außerhalb festgefahrener Kategorien als Schlüssel für eine erfolgreiche akademische Laufbahn sieht. Kulturelle Interaktion und der Austausch von Wissen und Kompetenzen innerhalb der Gesellschaft stehen auch im Zentrum seiner Forschung.

Text:Gerhild Sieber

Herr Professor Pozzo, wo arbeiten Sie aktuell, und was ist dort Ihre Aufgabe?

Professor Riccardo Pozzo : Ich arbeite an der Università di Roma Tor Vergata – sie ist eine der vier staatlichen Universitäten in Rom. Dort habe ich den Lehrstuhl für Philosophiegeschichte inne. 

Wie sah Ihr Weg von der Saar-Universität bis in diese Position aus? 

Professor Pozzo: Eigentlich bin ich ein Produkt des deutschen Hochschulwesens: Mein Philosophie-Studium habe ich 1978 zwar an der Staatlichen Universität Mailand begonnen, aber seit 1979 habe ich jeden Sommer an den Ferienkursen der Karl-Ruprechts-Universität Heidelberg teilgenommen. Nach meinem Studienabschluss 1983 kam ich im Jahr 1984 nach Saarbrücken – auf Einladung des damals dort wirkenden praktischen Philosophen Karl-Heinz Ilting, der mir eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter angeboten hatte. 1988 habe ich an der Universität des Saarlandes promoviert, die Habilitation folgte 1995 an der Universität Trier. Meinen ersten Ruf bekam ich im Jahr 1996, allerdings weder nach Italien noch nach Deutschland, sondern an die Catholic University of America in Washington, D.C.

In welchem Fachgebiet haben Sie in Saarbrücken promoviert? 

Professor Pozzo: Die abschließende Prüfung bei meiner Dissertation fand im Hauptfach Philosophie statt und in den beiden Nebenfächern Geschichte und Geographie.

Was hat Ihnen besonders gut an Ihrer Zeit in Saarbrücken gefallen? 

Professor Pozzo: Die Stadt Saarbrücken habe ich noch in sehr guter Erinnerung – auch den Wald um die Universität fand ich wunderbar. Besonders anregend war das Musikleben. So denke ich noch dankbar an die Konzertreihe „Musik im 20. Jahrhundert“ zurück, die jedes Jahr von meinem Kollegen Wolfgang Korb am Saarländischen Rundfunk organisiert wurde.

Wie war das Studentenleben damals in Saarbrücken?

Professor Pozzo: Bezaubernd! Ich war von der Zweisprachigkeit sehr angetan. Wenn beispielsweise ein Student oder eine Studentin aus Frankreich zu Besuch war, konnten alle Tischgesellen problemlos ins Französische wechseln. 

Wie haben Sie das Umfeld wahrgenommen?

Professor Pozzo: Die Atmosphäre in Saarbrücken während meiner Zeit von 1984 bis 1988 war ungemein interessant. Unter meinen Kommilitonen gab es noch viele, die zwischen Abitur und Bund untertage arbeiten gegangen waren. Es war dennoch eine Zeit des Übergangs: Die Anfänge der ökologischen Wende lassen sich auf jene Jahre datieren. Unvergesslich bleibt für mich eine Veranstaltung im Audimax mit Oskar Lafontaine und Joschka Fischer kurz vor der Landtagswahl im Saarland im März 1985.

An welche Vorlesungen oder Seminare an der Universität haben Sie besondere Erinnerungen?

Professor Pozzo: Besonders gerne erinnere ich mich an die Vorlesungen meines Doktorvaters, des Philosophiehistorikers Wilhelm Risse, dessen Ansatz für eine möglichst viele Traditionen umfassende Logikgeschichte meine eigene Entwicklung entscheidend geprägt hat. Auch spannend waren die Diskussionen in Sachen Menschenrechte in allen Kontinenten, die im Kreis der von Professor Alessandro Baratta geleiteten internationalen Forschergruppe am Institut für Rechts- und Sozialphilosophie ausgetragen wurden.

Gibt es Anekdoten aus Ihrer Zeit an der Universität des Saarlandes?

Professor Pozzo: Es war ein Mittag im Januar. Auf dem Weg von der Mensakasse zum Tisch von meinen Kommilitonen rutschte ich auf einer Bananenschale aus. Das Servierbrett wurde nach oben geschleudert, und auf meinen Kopf fiel ein Regen aus Sauerkraut samt dazugehörigen Kasseler Rippchen. Die Szene trug sehr zur allgemeinen Erheiterung bei. Dafür waren wir damals alle dankbar, denn ich erinnere mich, dass es ein trister Januarvormittag war. Die Mensa bot mir ein neues Essen an.

Was würden Sie heutigen Studierenden für ihre Studienzeit empfehlen?

Professor Pozzo: Thinking out of the box – also: Denken Sie über den eigenen Tellerrand hinaus!

…und in Sachen Karriereplanung?

Professor Pozzo: Der beste Ratschlag ist: Seien Sie mobil! Bei mir war es Studium in Italien, Promotion und Habilitation in Deutschland, erster Ruf in die USA, zweiter und dritter Ruf nach Italien.

Aus welchen Gründen fühlen Sie sich heute noch mit der Universität des Saarlandes verbunden?

Professor Pozzo: Seit 2020 arbeite ich mit dem Kollegen Josef van Genabith vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, der an der Universität den Lehrstuhl für Translationsorientierte Sprachtechnologie innehat, zusammen und freue ich mich sehr darüber.

Titelbild: Ermelinda Rodilosso
Gerhild Sieber
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Riccardo Pozzo ist Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte der Philosophie an der Universität Tor Vergata in Rom. Seine Forschungen konzentrieren sich auf Reflexion und Inklusion als soziale Prozesse, die unser Verständnis dessen prägen, was kulturelle Innovation ausmacht. Nach seinem Abschluss an der Staatlichen Universität Mailand im Jahr 1983, der Promotion an der Universität des Saarlandes (1988) und der Habilitation an der Universität Trier (1995) wurde er 1996 an die Catholic University of America in Washington, D.C. berufen. 2003 rief ihn die Universität Verona auf den Lehrstuhl für Geschichte der Philosophie zurück. Von 2009 bis 2012 war er Direktor des Istituto per il Lessico Intellettuale Europeo e Storia delle Idee des Consiglio Nazionale delle Ricerche. Von 2012 bis 2017, als er das Dipartimento Scienze Umane e Sociali, Patrimonio Culturale des Consiglio Nazionale delle Ricerche leitete, setzte er Italiens Beteiligung an den europäischen Forschungsinfrastrukturen für soziale und kulturelle Innovation um (CESSDA, CLARIN, DARIAH, EHRI, ERIHS, ESS, OPERAS, RESILIENCE und SHARE). Im Jahr 2014 wurde er mit dem Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Derzeit ist Riccardo Pozzo Mitglied des italienischen Organisationskomitees des Weltkongresses der Philosophie Rom 2024 und des wissenschaftlichen Komitees der Fondazione Bruno Kessler.

Foto: Wenhui Bao