Neuer Juraprofessor
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Ein frischer Wind weht durchs ehrwürdige Strafrecht

Die Rechtswissenschaft ist eine im positiven Sinne konservative Wissenschaft. Sie steigt nicht jeder Mode hinterher und verändert sich nur behutsam. Dennoch gibt es einige Bereiche des Rechts, die sich immer schneller wandelnden gesellschaftlichen Situationen anpassen müssen, etwa das Betäubungsmittelstrafrecht und die strafrechtliche Sanktionierung bestimmter Äußerungen. Unter anderem auf diesen Gebieten ist Mustafa Temmuz Oğlakcıoğlu aktiv. Der junge Professor will den nachfolgenden Generationen das Recht nicht nur aus trockenen Lehrbüchern vermitteln.

© Thorsten Mohr

Mustafa Oğlakcıoğlu in seinem Büro vor dem Trikot seines Freundes, dem Ex-Footballprofi Christian Rückert, ebenfalls Jurist.

„Wenn’s gerade bei TikTok trendet, warum nicht?”, findet Mustafa Oğlakcıoğlu. Der Zweck heiligt hier die Mittel, gemäß der alten Werber-Weisheit „Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler”. Oğlakcıoğlu, mit seinen 37 Jahren ein sehr junger Vertreter der Spezies Juraprofessor, geht mit dieser Einstellung durchaus pragmatisch an die Frage heran, wie er seinen Studierenden die eher trockene Materie der Rechtswissenschaft vermitteln möchte. So manch in Ehren ergrautem Vertreter seiner Zunft mag diese Frage nicht in den Sinn kommen, weil er schlicht gar nicht weiß, was TikTok ist. Und viele derjenigen, die es wissen, würden womöglich pikiert die Nase rümpfen bei dem Gedanken, komplexe juristische Sachverhalte anhand eines Handyvideos aus dem intellektuell oft nicht ganz so komplexen Influencer-Business zu vermitteln. Mustafa Oğlakcıoğlu ficht das nicht an. Denn wenn ein Thema tatsächlich bei TikTok die Runde macht, bei Instagram oder sonst irgendeinem sozialen Netzwerk, „dann finden es auch die Studierenden nice und kennen es meist”, so der Wissenschaftler. Damit weckt der Professor, der auf den ersten Blick nicht ganz so professoral daherkommt, das Interesse seines studentischen Publikums. Was ja bisweilen kein ganz leichtes Unterfangen ist.

 

Einige Studentinnen und Studenten verwechselten diesen unkonventionellen Ansatz einer Jura-Vorlesung dann mit mangelnder Ernsthaftigkeit. Hier stellt Mustafa Oğlakcıoğlu aber sehr schnell klar: „Nur weil Sie hier Spaß haben, ist es noch lange kein Kindergarten. Ihr habt Entertainment, aber ihr müsst euch die Dinge, die ich euch hier präsentiere, auch zu Herzen nehmen.“ Viele zögen ihre Schlüsse daraus, so der junge Juraprofessor. Bei einigen hingegen gebe es am Ende des Semesters bei der Klausur ein böses Erwachen, wenn sie merken, dass ihr Professor fachlich durchaus einen hohen Anspruch hat.

 

Denn bei allem Spaß geht es in der Rechtswissenschaft doch vor allem um eins: um Menschen. Eine durchaus ernste Angelegenheit also. Jahr für Jahr werden rund 700.000 Personen von deutschen Gerichten rechtskräftig verurteilt. Und ein nicht geringer Anteil davon, rund sieben Prozent, betrifft das Betäubungsmittelrecht. „Meist geht es dabei um den Erwerb von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum“, erläutert Mustafa Oğlakcıoğlu. „Trotzdem ist das BtM-Recht bisher nicht auserforscht“, so der Jurist. „Es wird in der Rechtswissenschaft selten angefasst, vielleicht auch, weil es als ‚Milieustrafrecht‘ angesehen wird, obwohl es eine große Relevanz aufweist“, so der Strafrechtsexperte weiter. Das ist der Grund, warum er sich 2013 in seiner opulenten, gut 700 Seiten starken Doktorarbeit mit dem Allgemeinen Teil des Betäubungsmittelstrafrechts auseinandergesetzt hat, die mit der Bestnote „summa cum laude“ ausgezeichnet wurde. Sie ist auch Grundlage für seine Kommentierung des Abschnitts zum Betäubungsmittelgesetz im renommierten Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, die in einschlägigen Prozessen häufig zu Rate gezogen wird.

 

© Thorsten Mohr

Sprache ist per se diskriminierend. Eine eloquente Person kann jemanden herabwürdigen, aber dies sprachlich derart gut verpacken, dass er sich nicht strafbar macht, während der andere nicht selten nur auf Vulgarwörter zurückgreifen kann, die dann als Beleidigung eingeordnet werden können.

Prof. Dr. Mustafa Oğlakcıoğlu

 

Ein weiteres juristisches Steckenpferd des jungen Rechtsgelehrten ist die rechtliche Dimension der Sprache. Eine Materie, die der gebürtige Nürnberger als Kind türkischer Einwanderer auch mit dem eigenen Lebensweg in Verbindung bringt. „Ich habe als Kind erst nach und nach Deutsch übers Fernsehen gelernt“, blickt er zurück auf seine Kindheit in den 1980er Jahren. „Meine Eltern waren Arbeiter; sie haben darauf gedrängt, dass wir, meine Schwester und ich, etwas studieren. Zwar hat mein Vater auch ein Studium in der Türkei abgeschlossen, aber das wurde in Deutschland nicht anerkannt“, berichtet Mustafa Oğlakcıoğlu. Schon früh war ihm klar, dass die Beherrschung der Sprache ein Schlüssel zum Erfolg in einer Gesellschaft ist. Er weiß: „Sprache ist per se diskriminierend für Menschen, welche diese nicht beherrschen. Das zeigt sich darin, dass eine eloquente Person jemanden herabwürdigen kann, aber dies sprachlich derart gut verpackt, dass er sich nicht wegen Beleidigung strafbar macht, während der andere auf nur einen beschränkten Wortschatz, nicht selten auf Vulgarwörter, zurückgreifen kann, die dann rechtlich eindeutig als Beleidigung eingeordnet werden können.“

 

Juristisch werde die Beleidigung als „Kundgabe der Missachtung“ definiert, so Oğlakcıoğlu. „Es kommt also eigentlich nicht auf die Gefühle an, die etwas beim Angesprochenen auslösen.“ Aber worauf kommt es dann an? „Das habe ich versucht, in meiner Habilitationsschrift zu fassen“, erklärt Mustafa Oğlakcıoğlu. Das gelang ihm offenbar so gut, dass er 2021 für diese Arbeit ausgezeichnet wurde – dieses Mal mit der Joachim-Vogel-Gedächtnismedaille der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Inhaltlich betrachtet mögen ein „Du Arschloch“ und ein „Ich missachte Sie und missbillige Ihre Handlung aufs Schärfste“ also in etwa dasselbe sagen, wenn man sie jemandem hinterherschreit, der einem die Vorfahrt nimmt, oder wenn man sie bei Facebook und Co. jemandem an die Pinnwand schreibt. Dennoch ist ersteres eine vulgäre Beleidigung, für die jemand juristisch zur Rechenschaft gezogen werden kann, das andere hingegen eine zulässige Äußerung. Das ist, je enger die Äußerungsformen zusammenrücken – man denke etwa an die Aussage „Du kannst mich am Arsch lecken“ und „Sie können mich mal“ – nur schwer nachvollziehbar, insbesondere, wenn man die nüchterne Definition einer Beleidigung als „Kundgabe der Missachtung“ kennt.

 

Es sind rechtsphilosophisch dicke Bretter wie diese, die Mustafa Oğlakcıoğlu bohren möchte. Solche fachlichen Interessen verdeutlichen, dass er es durchaus ernst meint und keinesfalls nur der spaßige Juraprof mit Querverweisen zu TikTok und zeitgenössischer Rapmusik ist (auch das ist – im Kontext mit dem Thema Sprache – Teil seines juristischen Interesses).

 

Dass er nun ausgerechnet saarländische Studentinnen und Studenten mit dem nötigen Spaß die ernsten Dinge des Juristenlebens vermittelt, ist für die hiesigen Studierenden ein ebensolcher Glücksfall wie für ihn selbst. „Das Saarland, das ich bis vor wenigen Monaten noch gar nicht kannte, hat einen ganz eigenen Charme. Es gibt gutes Essen, guten Wein, außerdem liebe ich Frankreich, da ist die Universität des Saarlandes natürlich ideal. Insofern habe ich es als großes Glück empfunden, dass mein erster Ruf von einer Universität aus dem Süden kam. Die Kollegen sind toll und auch mein Arbeitsumfeld im Übrigen gefällt mir wirklich gut.“ Damit steigt die Hoffnung, dass dieser erste Ruf nun vorerst auch der letzte bleibt, dem Mustafa Oğlakcıoğlu folgt. Welche Universität kann diese einmalige fachliche, kulinarische und geografische Kombination sonst noch bieten?

Text:Thorsten Mohr
Thorsten Mohr
29.06.2022
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Mustafa Oğlakcıoğlu befasst sich im Podcast „Räuberischer Espresso“ der Fachzeitschrift Juristische Arbeitsblätter gemeinsam mit seinem Kollegen Florian Nicolai mit Fragen des Strafrechts im Alltag. Dabei geht es etwa um den Zusammenhang zwischen einem Rapper, Chilisoße und einem Kondom oder um einen Anruf bei der Polizei, bei der der Anrufer an Weihnachten einen Einbrecher mit rotem Gewand im Schornstein meldet: https://rsw.beck.de/zeitschriften/ja/japlus/r%C3%A4uberischer-espresso

Hier geht’s zur Lehrstuhl-Webseite: https://www.uni-saarland.de/lehrstuhl/oglakcioglu.html