Aus dem Saarland kommen Impulse für eine zukunftsweisende, klimaschonende Kühl- und Heiztechnologie: Die Elastokalorik ist energieeffizienter und nachhaltiger als heutige Verfahren. Zu den Pionieren und führenden Gruppen dieser in der Entwicklung stehenden Klimatechnik zählt das Team der Professoren Stefan Seelecke und Paul Motzki. Sie versammelten die internationale Forschungscommunity auf der weltweit ersten Elastokalorik-Konferenz in Saarbrücken.
Die Professoren Stefan Seelecke (l.) und Paul Motzki entwickeln eine neuartige Technologie, die künftig zum Klimaschutz beitragen kann. Foto: Oliver Dietze
Kühlen und Heizen sind angesichts von Klimawandel und Energieknappheit zentrale Zukunftsthemen. Egal, ob es darum geht, Lebensmittel oder technische Geräte zu kühlen, den Kühlbedarf der Industrie und einer steigenden Zahl an Rechenzentren zu decken oder für angenehme Temperaturen in Räumen zu sorgen: Mit herkömmlichen Kühl- und Heizmethoden verbraucht dies alles enorm viel Energie und belastet das Klima und die Umwelt durch Treibhausgase und klimaschädliche Kältemittel. Die Elastokalorik, deren Prinzip darauf beruht, dass Formgedächtnisdrähte gezogen und wieder entlastet werden, bietet eine klimaschonendere Kühl- und Heiztechnologie. Das US-Energieministerium wie auch die EU-Kommission deklarierten diese Technologie bereits als zukunftsträchtigste Alternative zu bisherigen Verfahren.
„Die Elastokalorik hat eine signifikant hohe Energieeffizienz: Sie ist weit effizienter als die heute üblichen Klimatechniken“, sagt Professor Stefan Seelecke, der mit seinem Team an der Universität des Saarlandes und am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (ZeMA) forscht. Er ist einer der Pioniere dieser Technologie. Sein Forschungsteam entwickelte bereits den weltweit ersten kontinuierlich laufenden Kühl- und Heizdemonstrator, der aufzeigt, wie Elastokalorik Luft kühlen und erwärmen kann. „Wir transportieren Wärme, indem wir Drähte aus Nickel-Titan belasten und entlasten. Das Formgedächtnismaterial gibt Wärme ab, wenn es im sogenannten superelastischen Zustand gezogen wird, und nimmt Wärme auf, wenn es entlastet wird. Wir erreichen so Temperaturdifferenzen von rund 40 Grad“, erklärt Franziska Louia, sie leitet die Forschungsgruppe Elastokalorik an Seeleckes Lehrstuhl für intelligente Materialsysteme und hat die Konferenz mitorganisiert.
"Die Elastokalorik hat eine signifikant hohe Energieeffizienz: Sie ist weit effizienter als die heute üblichen Klimatechniken."
Mit einer entsprechenden Apparatur kann damit einem Raum Wärme entzogen oder zugeführt werden. Die Saarbrücker Technologie erreicht bereits mehr als das Zehnfache an Wirkungsgrad im Vergleich zu heutigen Wärmepumpen und Kühlschränken. In mehreren mit Forschungsgeldern in Millionenhöhe geförderten Forschungsprojekten, wie im Projekt DEPART!Saar, bei dem das Bundesforschungsministerium mehr als 17 Millionen Euro investiert, entwickeln die Forscherinnen und Forscher mit Partnern ihre Technologie weiter, um die Effizienz zu steigern und sie marktreif und breit einsetzbar zu machen.
Weltweit erste Elastokalorik-Konferenz
„Wir wollen das Innovationspotenzial der Elastokalorik in verschiedenste Anwendungsgebiete tragen, etwa in die Industriekühlung, auch in die E-Mobilität zur Kühlung in Elektrofahrzeugen oder den Haushaltsgerätesektor. Hierfür ist es wichtig, dass wir uns mit Arbeitsgruppen in aller Welt vernetzen. Daher haben wir hier im Saarland alle Akteure im Rahmen einer ersten Konferenz zusammengebracht“, sagt Professor Paul Motzki, der mit „Smarte Materialsysteme für innovative Produktion“ eine Brückenprofessur zwischen der Universität des Saarlandes und dem ZeMA innehat.
Zur weltweit ersten Elastokalorik-Konferenz reisten Ende Juni die führenden Forschungsteams aus aller Welt an, die aus verschiedenen Perspektiven an der Elastokalorik arbeiten: darunter Forscherinnen und Forscher, die sich aus materialwissenschaftlicher Sicht mit der Zusammensetzung der Formgedächtnislegierung befassen und diese weiterentwickeln, solche, die die technologische Seite bearbeiten bis hin zu Teams, die sich mit der Umsetzung der Technik in die Praxis befassen. Auch Vertreterinnen und Vertreter der Forschungsabteilungen international tätiger Unternehmen zählten zu den insgesamt rund 100 Teilnehmenden der ersten Elastokalorik-Konferenz.
"Wir wollen das Innovationspotenzial der Elastokalorik in verschiedenste Anwendungsgebiete tragen, etwa in die Industriekühlung, auch in die E-Mobilität zur Kühlung in Elektrofahrzeugen oder den Haushaltsgerätesektor. "
„Die Konferenz war ein voller Erfolg. Dadurch dass wir die Fachcommunity versammelt haben, konnten wir einen Überblick über den Stand der Forschung gewinnen. Es war sehr wertvoll für uns, so geballt zu sehen, was hier weltweit gerade passiert. Außerdem haben wir sichten können, wo die verschiedenen Gruppen im Augenblick noch an Grenzen stoßen. Da gibt es viel Übereinstimmendes, viele haben die gleiche oder ähnliche Problematik, die gleichen Fragestellungen. Dadurch können wir in der Weiterentwicklung gezielter und bei Forschungsfragen auch gruppenübergreifend gemeinsam ansetzen“, resümiert Paul Motzki.
Auch ein weiteres Hauptziel der Konferenz ist in trockenen Tüchern: Die Forscherinnen und Forscher gründeten eine internationale Fachgesellschaft, die nun von Saarbrücken aus aufgebaut wird: die „International Elastocalorics Society“. „Wir wollen die Zusammenarbeit und den Austausch der Forschungscommunity auf diesem noch recht neuen Forschungsgebiet verstetigen, die Gruppen auch direkt mit Blick auf praktische Umsetzung mit Unternehmen vernetzen. Dafür leiten wir jetzt die formellen Schritte ein“, sagt Stefan Seelecke. „Mit dieser neuen Fachgesellschaft entsteht aus dem Saarland heraus ein internationales Netzwerk, das die Expertisen der Forschungsteams aus aller Welt bündelt, damit diese Technologie künftig zum Klimaschutz beitragen kann. Das belegt einmal mehr das enorme Innovationspotenzial der exzellenten Forschung an der Schnittstelle der Ingenieur- und Materialwissenschaften unserer Universität“, sagt Universitätspräsident Manfred Schmitt.
Auch die Landesregierung steht hinter der neuen Technologie. „Am Beispiel der Elastokalorik wird der Transfer von Wissen in die Anwendung – dem Hauptziel unserer Innovationsstrategie – konkret greifbar. Diese Konferenz war ein wichtiger Gewinn für unser Land, denn sie richtete den Blick der weltweiten Fachcommunity aus Forschung und Wirtschaft auf unseren Standort und den Hotspot, der hier entsteht“, betont der saarländische Wirtschafts- und Innovationsminister Jürgen Barke.
Auf breites Interesse stößt die Elastokalorik auch in der Industrie. „Das war auf der Konferenz deutlich zu spüren – die Relevanz des Themas war allen anwesenden Vertreterinnen und Vertretern aus den Unternehmen klar. Es konnten schon Kooperationen, ganz konkrete Projekte, angebahnt werden“, sagt Paul Motzki.
Dabei ist die Elastokalorik nicht nur für Unternehmen der Heiz-und Kühlbranche von Interesse. Die Montan-Stiftung-Saar und die Montan-Innovation-Lab-Saar GmbH (MILS) sind aktiv an Forschungskooperationen beteiligt mit dem langfristigen Ziel der Herstellung der für die Elastokalorik nötigen Nickel-Titan-Werkstoffe. Vor diesem Hintergrund förderten sie auch die Elastokalorik-Konferenz, die künftig alle zwei Jahre stattfinden soll.