Bei der Knie-Arthrose wird nicht nur der Knorpel, sondern auch das darunterliegende Knochengewebe in Mitleidenschaft gezogen, was aber nur schwer zu erkennen ist. Am besten gelingt dies mit so genannten Mikro-CTs, die allerdings nicht für den Einsatz an Patienten geeignet sind. Arthroseforschern der Saar-Uni ist es nun gelungen, Knochenschäden mit üblichen klinischen Computertomografen zu erkennen. Damit eröffnen sich neue Ansätze in der Arthroseforschung. Die Studie wurde in der hochkarätigen Zeitschrift „Advanced Science“ veröffentlicht.
In der Medizin ist es wie bei der Fotografie: Der technische Fortschritt macht vieles möglich, was vor wenigen Jahren noch undenkbar erschien. Erreichten bezahlbare digitale Fotokameras vor 20 Jahren gerade einmal eine Auflösung drei bis sechs Megapixel, schaffen heutige Modelle problemlos über 40 Megapixel Auflösung, mit denen viel detailliertere Fotos aufgenommen werden können als noch vor wenigen Jahren. Ähnlich geht es auch in bildgebenden Verfahren in der Medizin. Hier erreichen in Kliniken verbreitete Computertomografen eine Auflösung von 90 bis 250 Mikrometer; hochspezialisierte Mikro-CT-Geräte für die Forschung können bereits Strukturen von einem bis 100 Mikrometer Größe auflösen. Damit gelingt es auch, feinste Knochenstrukturen abzubilden, die infolge einer Arthrose im Knie geschädigt werden können. Diese sind aber nur für den Forschungseinsatz geeignet. Einfacher wäre es, weit verbreitete klinische CTs für die Diagnostik von Knochenveränderungen infolge einer Arthrose zu verwenden.
„Die Untersuchung der Knochenveränderung bei Arthrosepatienten durch Röntgenbilder war in den 1970er und 1980er Jahren eine Zeitlang modern in der Forschung. Damals waren die technischen Möglichkeiten aber nicht so gut wie heute. Damit geriet die Untersuchung des Knochens etwas in Vergessenheit. Jetzt gibt es bessere Methoden“, sagt Henning Madry, Professor für Experimentelle Orthopädie und Arthroseforschung an der Universität des Saarlandes und Direktor des Zentrums für Experimentelle Orthopädie am Universitätsklinikum des Saarlandes. Seine Arbeitsgruppe ist eine der weltweit führenden Arthrose-Forschungsgruppen im Hinblick auf die Veränderung der Knochenstruktur. Noch überwiege aber der reine Blick auf den Knorpel.
Henning Madry möchte dies ändern und die Knochenveränderungen stärker ins Blickfeld rücken. Daher hat er gemeinsam mit seinen Kollegen, zu denen auch Arthrosespezialisten gehören, die im „Knorpelnetz der Großregion“ aktiv sind, untersucht, ob feinste Veränderungen in der Knochenstruktur nicht auch mit herkömmlichen Methoden der Computertomografie zu entdecken sind. „Bisheriger Goldstandard ist die Untersuchung mit einem Mikro-CT“, erklärt Henning Madry. Für Kliniken ist das jedoch keine Option, da diese Geräte einerseits zu klein sind, um einen Patienten zu untersuchen. Außerdem ist ihre Strahlenbelastung zu hoch. „Wir haben uns also gefragt, ob wir nicht auch mit normalen, klinischen CTs die Knochenveränderungen sehen können und den Schweregrad der Arthrose bestimmen können“, so Henning Madry.
Also haben er und seine Mitarbeiter die explantierten Kniegelenke von 9 Patientinnen und Patienten, die eine Prothese erhalten haben, mit klinischen CTs und mit Mikro-CTs untersucht und geschaut, ob sie die Veränderungen, die sie mit dem hochauflösenden Mikro-CT sehen können, auch mit dem klinischen CT erkennen können. „Und tatsächlich: Wir sehen auf den Bildern aus dem klinischen CT bereits Veränderungen in der Trabekelstruktur des Knochens“, fasst der Orthopäde das zentrale Ergebnis zusammen. Diese Trabekel, ein feines, bogenförmiges Gewebe aus feinsten Bälkchen im Inneren des Knochens, verteilt die Lasten, die auf den Knochen wirken, wie die Strebebögen, die die Dachlast einer gotischen Kathedrale auffangen. „Diese Knochenbälkchen werden mit zunehmendem Schweregrad mehr, zudem werden sie dicker, wenn das ‚Dach‘ aus Knorpel verschwindet“, drückt es Henning Madry mit einem Bild aus.
Indem sie gezeigt haben, dass sie mit „handelsüblichen“ CTs aus dem Klinikalltag diagnostisch an die Ergebnisse von hochauflösenden Mikro-CTs heranreichen können, haben sie die Hürden für einen tatsächlich therapeutischen Nutzen deutlich tiefer gelegt. Zwar ist es nach wie vor unwahrscheinlich, dass nun praktizierende Orthopäden auf der ganzen Welt im großen Stil CT-Untersuchungen von arthrotischen Kniegelenken durchführen, um Knochenveränderungen zu untersuchen. Das ist einerseits klinisch zumeist nicht angezeigt, andererseits erfordert es ein extrem hohes Maß an Erfahrung und Spezialisierung, wie sie nur in wenigen Zentren wie beispielsweise bei Henning Madrys Arbeitsgruppe vorhanden ist. „Für eine solche Routinediagnostik ist es noch zu früh. Aber die Methode ist natürlich sehr interessant für die klinische Erforschung und Testung neuer Arthrosemedikamente oder in wissenschaftlichen Einrichtungen“, erklärt Henning Madry. Diese könnten in Zukunft die Erkenntnisse aus der nun veröffentlichten Studie heranziehen, um mit weniger Aufwand durch den Einsatz von klinischen CTs ebenso gut verwertbare Erkenntnisse über die Knochenveränderungen zu gewinnen, und das nicht nur bei explantierten Kniegelenken, sondern bereits bei Patienten direkt.
Durch diesen „ganzheitlicheren“ Blick auf die individuelle Arthroseerkrankung eines einzelnen Patienten, der sowohl den Knorpelschaden als auch die Knochenveränderungen mit berücksichtigt, ergeben sich neue Einblicke in den Krankheitsverlauf und vielversprechende Therapieansätze, die heute noch nicht machbar sind.
Originalpublikation:
Tamás Oláh, Xiaoyu Cai, Liang Gao, Frédéric Walter, Dietrich Pape, Magali Cucchiarini, and Henning Madry: Quantifying the Human Subchondral Trabecular Bone Microstructure in Osteoarthritis with Clinical CT, Adv. Sci.2022, 2201692, DOI: 10.1002/advs.202201692 (Impact-Faktor: 16,806).
https://doi.org/10.1002/advs.202201692