
Christian Hoffmann in seinem Büro in der Theoretischen Physik, wo es allerlei zu entdecken gibt.
Blinder Physiker mit Durchblick
Wenn man mit Christian Hoffmann spricht, erahnt man das Gefühl, dass einen Glücksritter durchströmt haben muss, wenn er Mitte des 19. Jahrhunderts auf seinem Ölfeld in Pennsylvania den letzten Schlag mit seiner Spitzhacke tut und die Quelle unaufhaltsam zu sprudeln beginnt. Der Physiker Christian Hoffmann ist so eine Ölquelle, eine intellektuelle.
Und er ist blind. Der eigentliche Grund für das Interview mit ihm war, dass er junge Menschen, die wie er eine Sehbehinderung haben oder auch anderweitige Einschränkungen, motivieren möchte, eine Forscherkarriere einzuschlagen. Sich nicht entmutigen zu lassen, nicht zu sagen „Das kann ich nicht“, „Wie soll das denn gehen?“ oder es sich auch nicht von anderen ausreden zu lassen. „Ich brauche aber mein Gehirn, nicht meine Augen“, sagt der Theoretiker in einem der eher seltenen Momente, als seine Behinderung ins Gespräch kommt.
Denn im Grunde genommen liegt ihm vor allem ein Thema am Herzen, und das hat vordergründig erst einmal nichts mit seiner Sehkraft zu tun: Effizienz. Christian Hoffmann kann es nicht ausstehen, wenn Potenziale nicht maximal möglich genutzt werden, Dinge in die falsche Richtung laufen. Wenn in gesellschaftlichen Debatten lang und breit über etwas diskutiert wird, das aus rationalen Gründen keinen Sinn ergibt, aber womöglich politisch opportun ist. Wenn etwa in der Bildungspolitik das Hohelied der Digitalisierung gesungen wird, Schulen überall mit Tablet-Computern und digitalen Tafeln versorgt werden. Am Ziel vorbei, nutzlos aus seiner Perspektive. „Heute gibt es für alles eine App“, stellt er fest. „Aber die Schüler und Studenten wissen gar nicht mehr, wie die Technik wirklich funktioniert.“
Smartphones und Tablets sind absolut kontraproduktiv, weil sie den Schülern keine Fähigkeiten vermitteln, sondern nur die Benutzung fertiger Werkzeuge ermöglichen. Jemand, der eine Mikrowelle bedienen kann, ist ja auch noch lange kein Koch.
Christian Hoffmann
Und genau das lässt ihm keine Ruhe. Wie ein Getriebener trichtert er daher seit über 20 Jahren den Studentinnen und Studenten der Physik unter anderem „Grundlagen der Informationstechnik“ ein, vorerst gipfelnd vor dem Hintergrund der heutigen Smartphone-Welt: Wie funktioniert denn so ein schickes Ding, das wir jeden Tag stundenlang benutzen? Wie programmiere ich einen Computer überhaupt? „Meine Erfahrungen zeigen, dass die notwendigen Grundkenntnisse der IT von Jahr zu Jahr sinken“, stellt Christian Hoffmann fest. „Smartphones und Tablets sind absolut kontraproduktiv, weil sie den Schülern keine Fähigkeiten vermitteln, sondern nur die Benutzung fertiger Werkzeuge ermöglichen.“ Plakativ fasst der Physiker es in die Formel zusammen: „Jemand, der eine Mikrowelle bedienen kann, ist ja auch noch lange kein Koch.“ Deshalb ist es ihm ein großes Anliegen, den vermeintlichen „Digital Natives“ die wahren Grundlagen der Technik zu vermitteln, die sie überall umgibt.
Einmal, erinnert er sich, kam ein Biophysik-Student in seine Veranstaltung „Grundlagen der Informationstechnik für Physiker“. „Der musste das eigentlich gar nicht machen“, sagt Christian Hoffmann. „Der hat sich sehr gequält in der Veranstaltung. Aber er hat es durchgezogen.“ Am Ende stellte sich heraus, dass der Student im Praktikum biologische Messergebnisse durchklicken und in eine Excel-Tabelle eintragen musste. Eine nervtötende und vor allem langwierige Daueraufgabe. „Der hat mich dann über Wochen jeden Tag mit Fragen gelöchert. Und am Ende hat er ein Script für den Computer geschrieben, mit dessen Hilfe er zwei Stunden stumpfsinniger Arbeit auf zwei Minuten reduzieren konnte“, erzählt Christian Hoffmann zufrieden.
Auch aus solchen Erfahrungen heraus, die er seit Jahrzehnten macht, wäre sein Ansatz für eine wirklich fundierte Digitalisierung im Bildungswesen eine, die viele möglicherweise erst einmal abschrecken würde: „Die Schulen sollten schon früh auf Open-Source-Software und beispielsweise Linux als Betriebssystem setzen, um Programmieren zu lehren.“ Dass dies nicht nur ein Gefühl ist, weiß er aus der Vergangenheit: „Erfahrungsgemäß ist der Einstieg zwar etwas schwerer, aber die Effizienz in der Arbeit und der Lösung von Problemen wäre ungleich größer.“ Denn nur, wer versteht, wie die Dinge wirklich funktionieren, kann Probleme grundlegend lösen.
Es ist aber mitnichten so, dass Christian Hoffmann keinen Sinn für andere Dinge als Physik und Computer hätte. Betriebswirtschaftslehre, Philosophie, Jura: All diese Fächer hat er schon kennengelernt, sei es als Student oder als Dozent. Er hat Jura-Studenten gemeinsam mit Dozenten der Rechtswissenschaft in „Technik und Recht“ unterwiesen, er hat BWL-Studenten in die mathematischen Geheimnisse der Kreditrisikobewertung eingeweiht, in seinem „Physik-Zirkel“ diskutiert er mit seinen Studenten auch die philosophischen und gesellschaftlichen Fragen der Naturwissenschaft. „Mein Ziel ist es, den jungen Leuten Mut zu machen, über den eigenen Tellerrand zu schauen, kritisch zu hinterfragen, wie die Welt um sie herum funktioniert.“
Um dieses Ziel zu erreichen, verlangt er den Studenten viel ab: „Ich habe einen recht hohen Anspruch. Einige sagen mir dann zum Beispiel ‚So viel Aufwand für so eine kleine Veranstaltung‘“, erzählt Christian Hoffmann über das Feedback auf seine IT-Grundlagen-Reihe. „Wenn mir dann aber ein Absolvent erzählt, dass er aufgrund seiner Programmierkenntnisse, die er bei mir gelernt hat, seiner Firma ein zigtausend Euro teures Update ersparen konnte, weil er das Problem selbst lösen konnte, weiß ich, dass der Anspruch gerecht ist“, resümiert er.
Als Behinderter muss man doppelt so viel arbeiten, doppelt so viel Kraft aufbringen und doppelt so viel Durchhaltevermögen entwickeln, aber genau dies prägt einen Menschen dann auch.
Christian Hoffmann
Diese Mühen, der Aufwand, den er als anspruchsvoller Dozent betreibt, um seinen Studenten diese Art grundlegendes Weltverständnis zu lehren, zahlen sich aus. Seine Studenten schätzen sehr, dass er ein fordernder Dozent ist, der zum Querdenken anregt. Damit wurde er quasi zum Seriensieger unter den Physikdozenten. Seit 2014 vergibt die Fachschaft Physik den Preis für die beste Lehre. Christian Hoffmann wurde damit 2014, 2015, 2016, 2018 und, ganz aktuell, für Winter- und Sommersemester 2019/2020 ausgezeichnet.
All das hängt natürlich trotzdem irgendwie mit seiner Behinderung zusammen. Denn ohne seine Sehbehinderung wäre er sicherlich ein anderer Mensch geworden: „Als Behinderter muss man doppelt so viel arbeiten, doppelt so viel Kraft aufbringen und doppelt so viel Durchhaltevermögen entwickeln, aber genau dies prägt einen Menschen dann auch“, weiß der 49-Jährige zu berichten.
Das hat ihn aber nicht davon abgehalten, seinen Traum zu verwirklichen: Forscher zu werden. Und ein stetig sprudelnder Quell von Wissensdurst, Tatendrang und Sendungsbewusstsein zu werden. Dessen Beispiel hoffentlich dem ein oder anderen, der in einer Situation wie Christian Hoffmann vor 20, 30 Jahren war, Mut und Inspiration liefern wird, einen ähnlichen Weg einzuschlagen.

Wer mit Christian Hoffmann in Kontakt treten möchte, kann ihn gerne per Mail an chhof@lusi.uni-sb.de oder per Telefon unter (0681) 3024218 erreichen. Infos gibt’s auch auf seiner Webseite https://alpha.lusi.uni-sb.de/~chhof.
Ausdrücklich motivieren möchte er Studieninteressierte, sich nicht von einer akademischen Karriere abhalten zu lassen, ob sie nun in irgendeiner Form behindert seien oder nicht. "Gerade die akademische Ausbildung bietet behinderten Menschen viele Möglichkeiten. Meine Erfahrungen, insbesondere an unserer Universität und unserem Fachbereich, zeigen, dass man sehr viel erreichen kann und dass ich immer wieder diese Wahl treffen würde, insbesondere auch, weil ich von so vielen Mitgliedern des Fachbereichs immer wieder Zuspruch und Unterstützung erfahre."
- Bilder Thorsten Mohr