
Juniorprofessor Benedikt Schnellbächer vor einem 3-D-Drucker in seinem Labor, wo seine Studenten neue Produkte entwickeln.
Rustikale Rugby-Methoden ebnen den Weg zur Innovation
Tag für Tag nutzen wir Dinge, ohne uns Gedanken darum zu machen, wie sie überhaupt hergestellt werden. 10.000 Gegenstände besitzt jeder Europäer im Durchschnitt, und die meisten dürften industriell hergestellt worden sein. Wie das geschieht, wissen aber wohl die wenigsten Menschen.
Diejenigen, die künftig wissen, wie man zumindest eine Messapparatur für die Bestimmung des Nitratgehalts im Boden herstellt, trifft man an der Saar-Uni derzeit vor allem im Neuprodukte-Labor von Juniorprofessor Benedikt Schnellbächer im Starterzentrum auf dem Saarbrücker Campus. Was auf den ersten Blick irgendwie abseitig klingt, hat allerdings Hand und Fuß. Nitratbelastung ist in der industriellen Landwirtschaft, die auf maximalen Ertrag fixiert ist, ein großes Problem, nicht nur in Deutschland. „Den Tipp dafür hat uns ein Agrarverein gegeben“, sagt Benedikt Schnellbächer, der das Seminar „Sustainable Product Development“ in diesem Jahr gemeinsam mit seinem Technik-Partner Daniel Silva erstmals anbietet. Hier lernen Master-Studentinnen und -Studenten die Entwicklung eines Produktes von der Pike auf – von der ersten Idee bis zum tatsächlichen Bau eines Prototypen. So sollen sie lernen, Projekte zu leiten, wie sie später auch im Berufsalltag von Kaufleuten und Ingenieuren vorkommen.
Und während Benedikt Schnellbächer und Daniel Silva mit den Seminarteilnehmern – eine Studentin und zwei Studenten – einen virtuellen „Sprint“ absolvieren, auf dem sich alle auf den aktuellen Stand der Dinge bringen, wird schnell klar, dass es alles andere als trivial ist, selbst einen kleinen Messkasten zu entwickeln, der im Boden Nitratwerte misst. Es gibt unzählige Detailfragen, die sich ein Produktentwicker stellen muss. Studentin Katherina Schmidt berichtet beispielsweise, welche Entscheidungen in Sachen Materialauswahl anstehen: „Nehmen wir Filter, die Partikel von weniger als 0,2 Mikrometer durchlassen, wird es teurer, als wenn wir Filter nehmen, die rund 0,4 Mikrometer große Partikel abfangen können“, sagt die Studentin. Vier- bis fünfmal so viel kosten die etwas feineren Filter, die dann allerdings nicht mehr so exakt filtern und eventuell störende Partikel durchlassen, die das Messergebnis des Sensors beeinflussen.
Dokumentation, Dokumentation, Dokumentation! Denn das Gedächtnis ist nicht der beste Ratgeber.
Rat von Juniorprofessor Benedikt Schnellbächer an die Seminarteilnehmer
Ihr Kommilitone Ben Wieland hat postwendend eine gleichsam günstige wie effektive Lösung vor Augen: „Wir können Kaffeefilter nehmen, die sind billig und effektiv. Es ist eine gute, kostengünstige Alternative zu den Filtern aus dem Biologie-Labor“, so der Promotionsstudent aus der medizinischen Mikrobiologie, der eine Ausnahme bildet, weil das Seminar sich grundsätzlich an Masterstudierende aus BWL und Ingenieurwissenschaften richtet. „Ok, das ist eine gute Idee. Am besten schreibt ihr das gleich auf“, sagt Benedikt Schnellbächer. Denn gute Ideen, die man vor ein paar Wochen oder Monaten hatten, sind später oft nicht mehr viel wert, weiß der Juniorprofessor für Digitale Transformation und Existenzgründung des Center for Digital Transformation (CeDiT). Daher rät er seinen Studenten zu „Dokumentation, Dokumentation, Dokumentation! Denn das Gedächtnis ist nicht der beste Ratgeber“, weiß der Experte.
Im späteren Berufsleben kommt es aber auch noch auf eine weitere entscheidende Komponente an: Geld. Entwickeln die drei Studenten später in einer Firma tatsächlich eine Messtation für einen Bauernverband, nutzt es ihnen herzlich wenig, die ausgefeiltesten Ideen für ein optimales Ergebnis zu haben, wenn der Kasten am Ende Zigtausende Euro kostet, die dann kein Auftraggeber der Welt mehr zu bezahlen bereit ist. „Jede Gruppe bekommt daher ein kleines Budget von ca. 250 Euro, mit dem sie die Teile für ihr Produkt einkaufen kann“, erläutert Benedikt Schnellbächer. Wenn seine Studenten später ein wenig darüber liegen, ist das nicht schlimm. Aber auf diese Weise lernen sie, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu wirtschaften.
Auf diese Weise hangeln sich die drei Studierenden von „Sprint“ zu „Sprint“ und geben ihrem Professor immer wieder Feedback. Wo es Schwierigkeiten gibt, greift Existenzgründungs-Experte Benedikt Schnellbächer korrigierend ein, ansonsten sind die Seminarteilnehmer frei in ihren Entscheidungen. Die Gruppe soll lernen, eng und selbstorganisiert zu arbeiten und möglichst wenig Input von außen – etwa von ihrem Professor – zu bekommen. „Scrum“ nennt man das im Jargon der Produktentwickler. Entlehnt ist dieser Begriff aus dem Rugbysport; er beschreibt eine Formation, in der die Sportler sich eng unterhaken, um eine möglichst geschlossene Formation zu bilden, die der Gegner nicht durchdringen kann. „Dahinter steckt der Gedanke, dass jeder im Projektteam sich 100 Prozent auf seine Teammitglieder verlassen kann“, erläutert Benedikt Schnellbächer.
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Es ist mit das Schlimmste, wenn ein, zwei Leute mittendrin abspringen.
Daniel Silva, studentischer Mitarbeiter, über den Grund, warum Interessenten eine Bewerbung fürs Seminar abgeben müssen
Damit das möglichst gewährt wird, müssen die Studentinnen und Studenten vor Seminarbeginn auch eine Bewerbung schreiben, um mitmachen zu können. „Das machen wir auch deshalb, weil es mit das Schlimmste ist, wenn ein, zwei Leute mittendrin abspringen“, berichtet Daniel Silva, der als studentischer Mitarbeiter der Techniker der Gruppe ist. Am Ende des Seminars soll im Neuprodukte-Labor auch ein Prototyp am 3D-Drucker gedruckt werden. Davon betreut Daniel Silva mehrere. So stehen im Labor verschiedene Modelle, die schnell bis auf etwa ein Zehntel Millimeter genau drucken können oder aufwändigere Drucke bis auf wenige Mikrometer genau umsetzen können. Daniel Silva, Produktdesign-Student an der HBK, ist hier ganz in seinem Element. Durch Zufall kam er in Kontakt mit Benedikt Schnellbächer, und beiden war schnell klar, dass sie gut miteinander arbeiten können – der Experte für Innovation Schnellbächer und der Tüftler und Produktdesigner Silva.
Wenn die erste Veranstaltungsreihe in diesem Wintersemester erfolgreich zu Ende geht, planen die beiden noch weitere Veranstaltungen dieser Art, eventuell auch mit mehr Teilnehmern. Bis es soweit ist, muss sich das innovative Seminar aber noch ein wenig herumsprechen. Gelingt dies, werden sicher noch viel mehr Motivationsschreiben bei Benedikt Schnellbächer und Daniel Silva ankommen. Denn auch für ein erfolgreiches Seminar gilt dasselbe wie für ein gutes Produkt: Auf die Qualität der einzelnen Teilchen kommt es an.
- Bilder Thorsten Mohr