Thorsten Mohr

Pardis Bayenat kam 2011 aus dem Iran nach Deutschland zum Studium.

Biophysikerin

Ein ganz normaler, steiniger Weg

Pardis Bayenat kam mit 20 aus dem Iran nach Deutschland, büffelte ein Jahr Deutsch, Chemie, Physik und Mathe im Studienkolleg. Nebenher musste sie ihr Leben finanzieren, jobbte als Kellnerin und in der Industrie. Inzwischen steht die 30-Jährige kurz vor dem Master in Biophysik. Klingt außergewöhnlich. Wenn sie erzählt, wird aber schnell klar: Das findet sie nicht. Eigentlich ist ihr Leben eine Abfolge nüchterner Notwendigkeiten.
Von Thorsten Mohr • 18.11.2020

„Was, du gehst zu den Nazis nach Deutschland?“ Das fragten so manche Freunde im Iran, als Pardis Bayenat sich vor einem guten Jahrzehnt entschied, zum Studium nach Deutschland zu kommen. Hier angekommen, stellt sie dann fest, dass in Deutschland wiederum das Bild vom Iran das eines Landes ist, das voller radikaler Anhänger des Mullah-Regimes ist, die tagein, tagaus US-Flaggen auf Demos in Teheran verbrennen.

Beides ist aber grundfalsch, weiß sie inzwischen. Weder ist Deutschland voller Nazis, noch sind im Iran nur Fanatiker unterwegs. „Viele Iraner fühlen sich politisch nicht vertreten, insbesondere durch Taten wie Flaggen verbrennen nicht. Das Land ist voller Kultur und Literatur“, sagt Pardis Bayenat über ihr Heimatland. Es weiß aber hüben wie drüben kaum jemand wirklich Bescheid, wie es im jeweils anderen Land wirklich ist.

Pardis Bayenat ist aber eine der wenigen Menschen, die beide Länder sehr gut kennen. 2011 kam sie, damals 20, nach dem Abitur in Teheran nach Deutschland. Das war eine konsequente Entscheidung. „Frauen haben im Iran zwar mehr Freiheiten als in anderen Ländern des mittleren Ostens. Aber in vielen Bereichen sind wir nicht wirklich frei“, sagt die junge Frau. So kann ein Ehemann seiner Frau das Arbeiten verbieten. Verreisen ohne das Einverständnis des Mannes ist ebenfalls schwierig. Und das Scheidungsrecht im Iran ist ebenfalls sehr auf der Seite der Männer. Frauen bleiben daher oft in unglücklichen Beziehungen, weil sie finanziell und gesellschaftlich ins Nichts fallen, wenn sie sich von ihrem Ehemann trennen.

Für Pardis Bayenat war eine solche Zukunft keine Option. Daher fasste sie einen pragmatischen Entschluss: Sie musste raus aus dem Iran, auch wenn es schwer war, Freunde und Familie hinter sich zu lassen und alleine in der Fremde ein neues Leben zu beginnen. „Aber ich lebe schließlich nur einmal“, sagt sie. „Und obwohl dies nun sehr privilegiert klingen mag: Ich möchte mich nicht für solche grundlegenden Rechte einsetzen müssen.“ Das ist ihr zu müßig. „Es gibt Frauen, die gehen im Iran dafür ins Gefängnis, wenn sie sich für eigentlich selbstverständliche Freiheiten einsetzen. Das war allerdings nicht mein Weg.“ Einem Land, das Frauen so behandelt, kann man auch entgegentreten, indem man es verlässt und sein Glück woanders sucht. Also auf nach Deutschland, einem Land, von dem sie eigentlich keine konkrete Vorstellung hatte.

Dass die Wahl dann ausgerechnet auf Saarbrücken fiel, was ja eher ungewöhnlich erscheint, wenn man ohne große Vorkenntnisse in ein Land auswandert, hat gute Gründe: „Ich konnte mich damals nicht entscheiden, ob ich lieber Physik oder Ingenieurwissenschaften studieren will. Also habe ich gegoogelt, welche Studiengänge es gibt. Und dann bin ich auf den Studiengang Mikrotechnologie und Nanostrukturen gestoßen, der beide Wissenschaften beinhaltet.“ Nach dem Bachelor in diesem Fach wechselte sie zum Master allerdings in die Biophysik, da sie inzwischen weiß, dass ihr die Grundlagenforschung eher liegt. An der Schnittstelle beider Wissenschaften stellt sie am Lehrstuhl von Experimentalphysikerin Karin Jacobs Modelloberflächen her, die für die Erforschung der Säureresistenz von künstlichem Zahnschmelz genutzt werden. Nun steht sie kurz vor ihrem Abschluss in Biophysik.

 

Vielleicht leistet man manchmal außergewöhnliche Dinge, weil das Leben einen dazu bringt.

Pardis Bayenat

 

Bis es soweit war, musste sie allerdings einen Weg zurücklegen, den viele Altersgenossen, egal, aus welchem Land sie kommen, vermutlich gescheut hätten. Nicht nur, dass sie als junge Frau ohne tiefere Sprachkenntnis – im Iran hatte sie immerhin zwei Jahre lang Deutsch im Sprachinstitut gelernt –  in ein fremdes Land auswandert und sich dort einem inhaltlich herausfordernden Studium in dieser fremden Sprache stellt. „Meine Eltern, die mich sehr dazu motiviert haben, in Deutschland mein Glück zu suchen, können mich nur bedingt unterstützen“, sagt Pardis Bayenat. Insbesondere die schweren Sanktionen der US-Regierung gegen den Iran belasten die Familien. Bayenats Eltern sind zwar Akademiker, der Vater Chemiker, die Mutter Psychologin. „Aber es ist alles sehr teuer geworden.“ Vielen Eltern iranischer Studenten, auch ihren, fällt es daher schwer, ihre Kinder im Ausland finanziell zu unterstützen. Pardis Bayenat arbeitet daher auch sehr viel, um sich ihr Leben zu finanzieren. „Ich habe im Café gearbeitet, bin Hiwi an der Uni und war bei ZF in der Industrie“, nennt sie einige Beispiele.

Hat sie Verständnis dafür, dass man ihren Einsatz als außergewöhnlich betrachtet? „Vielleicht leistet man manchmal außergewöhnliche Dinge, weil das Leben einen dazu bringt“, sagt sie nach einer kurzen Bedenkzeit. Sie erzählt all dies mit einem leichten Achselzucken, als sei es eine Selbstverständlichkeit, dass sie all diese Mühen auf sich nimmt. Für Selbstverständlichkeiten, die eigentlich genau das sein sollten: eine ganz normale Sache, dass zum Beispiel Frauen ihren Weg frei wählen können. „An Universitäten haben Männer und Frauen nicht bei allen Studiengängen die gleichen Aufnahmechancen“, berichtet Pardis Bayenat. Auch im weiteren gesellschaftlichen Leben hätten Frauen viele Nachteile.  „Ich bin nicht so mutig, wie die anderen Frauen, die für unsere Rechte ins Gefängnis gehen“, sagt sie fast schon entschuldigend.

Sie macht einfach ihr Ding und sucht sich ihren Weg. Und ist zuhause in zwei Welten, die weit mehr sind, als Nazis hier und religiöse Fanatiker da.

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