
Die Doktoranden Felix Welsch und Susanne Marie Kirsch mit der ersten Maschine, die Luft mit Muskeln aus Nickel-Titan kühlt.
Heizen und Kühlen mit künstlichen Muskeln
Wer kühlen will, muss Wärme wegschaffen. Und wer es warm mag, muss zum Heizen Wärmeenergie liefern. Der Prototyp, den die Ingenieure der Saar-Uni entwickelt haben, tut genau das: Er transportiert Wärme, und zwar mit einer völlig neuen Methode, die ohne die Nachteile der bisher üblichen Arten zu Kühlen und zu Heizen auskommt. „Klimaschädigende Kühl- oder Kältemittel etwa braucht man dafür nicht“, erklärt Messtechniker Professor Andreas Schütze.
Im Grunde beruht das Verfahren schlicht darauf, dass Drähte aus einer besonderen Formgedächtnislegierung, in diesem Falle Nickel-Titan, kurz „NiTi“ genannt, gezogen und wieder entlastet werden. „Die Phasenumwandlungen, die dabei in der Kristallstruktur des Materials stattfinden, setzen sogenannte latente Wärmen frei, beziehungsweise absorbieren diese“, erläutert Stefan Seelecke, Professor für Intelligente Materialsysteme. Bei den Drähten aus Nickel-Titan ist dieser Effekt besonders stark: „Wenn zuvor gespannte Drähte bei Raumtemperatur wieder entlastet werden, kühlen sie sich dadurch um bis zu etwa 20 Grad ab“, sagt Felix Welsch, der gemeinsam mit Susanne-Marie Kirsch im Rahmen von Doktorarbeiten am Prototyp arbeitet. Das macht es möglich, Wärme abzutransportieren. „Beim Belasten findet eine ebenso große Erwärmung statt, so dass der Prozess auch als Wärmepumpe eingesetzt werden kann“, erklärt Welsch.
Portrait Seelecke: Oliver DietzeUnsere neue Kühl- und Heiztechnik ist bereits doppelt bis dreifach so effizient wie übliche Heiz- und Kühlgeräte.
Professor Stefan Seelecke
Der Prototyp, den die Forschergruppe Anfang April auf der Hannover Messe vorstellt, ist die erste kontinuierlich laufende Maschine, die Luft mit dem neuen Verfahren kühlt. Ein speziell konstruierter, zum Patent angemeldeter Nockenantrieb sorgt dafür, dass während der Rotation fortwährend Bündel aus 200 Mikrometer dicken NiTi-Drähten gezogen und entlastet werden. In zwei separaten Kammern wird Luft durch die Bündel geblasen, die in der einen entsprechend erwärmt und in der anderen gekühlt wird. So lässt sich die Maschine wahlweise als Wärmepumpe oder Kühlmaschine betreiben.
Was so einfach klingt, ist ein kniffliges Unterfangen: Mehrere Jahre haben die Ingenieure auf dem Campus und am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik in verschiedenen, unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekten geforscht: Mit Versuchsreihen und Simulations-Modellen fanden sie heraus, wie der Mechanismus am effizientesten abläuft, wie stark die Drähte gezogen werden müssen, um eine bestimmte Kühlleistung zu erreichen, welche Drehzahl bei der Rotation am besten ist und wie viele Drähte sie bündeln müssen: „Durch die größere Oberfläche ist der Wärmetransport schneller, daher kühlen Bündel viel besser“, erklärt Susanne-Marie Kirsch. Mit einer Thermokamera analysierten die Ingenieure, wie Erwärmung und Abkühlung exakt ablaufen. Durch diese Forschungen haben sie viele Stellschrauben, mit denen sie das System nun maßschneidern können: „Wir haben mit den Ergebnissen aus den bisherigen Forschungen eine Software entwickelt. Damit können wir unsere Heiz- und Kühltechnik für verschiedene Anforderungen am Computer exakt anpassen und Systeme planen, die dann gebaut werden können“, erklärt Kirsch.
Portrait Schütze: Oliver DietzeDas Verfahren kommt ohne klimaschädigende Kühl- oder Kältemittel aus.
Professor Andreas Schütze
Diese Grundlagenforschung könnte für die Industrie interessant werden. Denn die neue Heiz- und Kühltechnik ist effizient. Je nach Legierung kann sie bis zu dreißigmal mehr Wärme- oder Kühlleistung abgeben als sie mechanische Leistung beim Ziehen und Loslassen benötigt. Damit ist das System bislang bereits zweimal besser als eine Wärmepumpe und dreimal besser als ein bislang üblicher Kühlschrank. „Und dazu ist sie umwelt- und klimafreundlich, da die Kühlung oder Erwärmung unmittelbar erfolgt. So kann beispielsweise Luft in einer Klimaanlage ohne zwischengeschaltete Wärmetauscher gekühlt werden, und wir benötigen dazu keine hochdruckfesten und dichten Leitungssysteme“, erläutert Professor Seelecke.
Jetzt forschen die Ingenieurinnen und Ingenieure daran, die Wärmeübertragung der Maschine weiter zu optimieren, um die Effizienz noch weiter zu steigern „Wir wollen erreichen, dass die gesamte Energie aus den Phasenumwandlungen möglichst vollständig zum Kühlen oder Heizen verwendet wird“, erklärt Doktorand Felix Welsch.

Vorarbeit für den Prototyp
Seit mehreren Jahren forschen die Ingenieure an der Universität des Saarlandes und am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema) in verschiedenen Projekten an der umweltfreundlichen Kühlmethode - unter anderem im Schwerpunktprogramm „Ferroic Cooling“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft:
Das Foto zeigt Marvin Schmidt (l.), der für seine Doktorarbeit bei den Professoren Stefan Seelecke und Andreas Schütze den Eduard-Martin-Preis der Universitätsgesellschaft des Saarlandes erhielt, und seinen Forscherkollegen Johannes Ullrich (r.).
Inzwischen bewerteten die EU-Kommission und das US Department of Energy das Verfahren als zukunftsträchtigste Alternative zur etablierten Kältekompressionstechnologie.
Auf der diesjährigen Hannover Messe vom 1. bis 5. April präsentieren die Wissenschaftler ihre Technologie am saarländischen Forschungsstand (Halle 2, Stand B 46).
Einen Überblick über alle Forschungsprojekte der Universität des Saarlandes auf der Hannover Messe finden Sie hier.
- Bilder Titelfoto: Oliver Dietze Foto: Oliver Dietze Portrait Seelecke: Oliver Dietze Portrait Schütze: Oliver Dietze