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Die Luxemburgerin Nathalie Wagner ist überzeugt, dass Literatur sich für interkulturelles Training eignet.

Masterstudium „Deutsch-Französische Studien“

Wie Literatur den interkulturellen Dialog beflügeln kann

Nathalie Wagner hat den trinationalen Masterstudiengang „Deutsch-Französische Studien: Grenzüberschreitende Kommunikation und Kooperation“ absolviert. In ihrer Abschlussarbeit hat sich die Luxemburgerin mit dem Potenzial von Literatur für die interkulturelle Verständigung befasst. Dafür ist sie mit dem Exzellenzpreis der Deutsch-Französischen Hochschule ausgezeichnet worden.
Von Gerhild Sieber • 07.03.2019

„Die Deutschen, das wußte jeder, waren die meiste Zeit mit Arbeiten, Heizen und Schneeschaufeln beschäftigt. Keine Leute, die viel redeten, und alle riesig und blond wie die Teufel. Wenn sie doch einmal Zeit hatten, dann lasen sie.“ – So schildert der Autor Sten Nadolny in seinem Roman „Selim oder Die Gabe der Rede“ aus der Sicht eines jungen türkischen Arbeiters die befremdliche Lebenswelt in Deutschland während der 1960er Jahre. „Nadolny beschreibt die deutschen Sitten mit überspitzten und ironischen Elementen – und genau dieser fremde Blick ermöglicht es uns, die eigenen kulturellen Normen und Perspektiven zu relativieren“, sagt Nathalie Wagner.

Die 28-Jährige hat 2018 ihr Studium im trinationalen Programm „Deutsch-Französische Studien: Grenzüberschreitende Kommunikation und Kooperation“ abgeschlossen und ist für ihre Masterarbeit mit dem Exzellenzpreis der Deutsch-Französischen Hochschule ausgezeichnet worden. In ihr hat sie Erzählungen aus der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur analysiert, „in denen Konflikte zwischen Kulturen ausgetragen werden, aber auch große interkulturelle Freundschaften entstehen“, erklärt die Luxemburgerin. Neben dem Roman von Sten Nadolny hat sie Werke von drei in Deutschland lebenden Autoren mit ausländischen Wurzeln ausgesucht: Wladimir Kaminer, Emine Sevgi Özdamar und Rafik Schami. „In den Erzählungen geht es immer um die Inszenierung ausländischer Protagonisten und das Thema Interkulturalität.“

Denktraditionen, die zur Abgrenzung neigen, können unsere heutigen Lebensverhältnisse nicht mehr erklären

Nathalie Wagner

„Mit meiner Arbeit möchte ich zeigen, dass mehrkulturelle deutschsprachige Gegenwartsliteratur ein großes Potenzial besitzt, den interkulturellen Dialog anzuregen“, sagt Nathalie Wagner. Sie ist überzeugt, dass Literatur so die Akzeptanz zwischen verschiedenen Kulturen stärken kann. Das sei dringend notwendig, denn „interkulturelle Konflikte sind relevanter denn je.“ In Zeiten der Globalisierung seien die Lebensverhältnisse sehr komplex. „Denktraditionen, die zur Abgrenzung neigen, können unsere heutigen Lebensverhältnisse nicht mehr erklären“, meint die junge Frau.

Die Idee zu ihrer Arbeit entstand während einer Lehrveranstaltung mit interkulturellem Kompetenztraining: Gemeinsam mit einer Kommilitonin habe sie das Thema „Kritische Interaktionssituationen“ bearbeitet und präsentiert. „Das hat mich auch auf die Idee gebracht, ‚critical incidents‘ in der Literatur zu suchen“, erinnert sich Nathalie Wagner. „Bisher untersucht man beim interkulturellen Training immer, was diese und jene Kultur macht, aber ich glaube, dass man durch Literatur eine sehr viel differenziertere Perspektive vermitteln könnte.“

Einen solchen vielschichtigeren Blick habe ihr auch das Studium nahegebracht: „Der Studiengang sensibilisiert für die Komplexität kultureller Identitäten und Prozesse“, sagt Nathalie Wagner. Das bedeutet? – „Man lernt, den eigenen Standpunkt zu relativieren, kommt weg von einer ethnozentrischen Weltsicht.“ Da die Studenten Lehrveranstaltungen in Deutschland, Frankreich und Luxemburg absolvieren, lernen sie unterschiedliche Lehrmethoden kennen und haben mit Kommilitonen aus verschiedenen Herkunftsländern zu tun. „Da wird man automatisch offener für andere Kulturen.“

Auch inhaltlich habe ihr das Masterprogramm zugesagt, weil es sowohl Kultur, als auch Wirtschaft und Politik integriere, sagt Nathalie Wagner. Zu den behandelten Themen gehören unter anderem die deutsch-französischen Beziehungen, die europäische Integration oder interkulturelle Kommunikation und Kompetenz. „Ich habe beispielsweise Lehrveranstaltungen über die Politik in Deutschland und Frankreich oder über die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen belegt.“ Daneben hat sie Kurse absolviert über Kultur- und Medienanalyse, über Marketing oder über Kulturmanagement.

„In diesem Studiengang lernt man, über Sprachgrenzen hinweg zu kommunizieren und sich auf interkulturellem Terrain kompetent und sicher zu bewegen“, sagt die 28-Jährige. Sie hofft, mit diesen Kompetenzen  gute Aussichten auf eine Stelle in einem internationalen Arbeitsumfeld zu haben. Zudem schließt sie nicht aus, das Thema ihrer Abschlussarbeit im Rahmen einer Dissertation zu vertiefen, denn um das Potenzial von Literatur hinsichtlich der Vermittlung interkultureller Kompetenzen tatsächlich zu belegen, bedürfe es empirischer Studien, meint Nathalie Wagner.

 

DFH-Exzellenzpreis

Für ihre von Professor Hans-Jürgen Lüsebrink betreute Masterarbeit hat Nathalie Wagner den Exzellenzpreis der Deutsch-Französischen Hochschule erhalten. Diese würdigt damit Studienabsolventen mit hervorragenden bi- oder trinationalen Studienabschlüssen. In diesem Jahr wurden im Januar insgesamt elf Exzellenzpreise in der Französischen Botschaft in Berlin vergeben; sie sind mit jeweils 1.500 Euro dotiert. Den Preis von Nathalie Wagner hat die ASKO Europa-Stiftung gefördert.

Der Titel ihrer Arbeit lautete: „Interkulturelle Interaktionen und Prozesse der Selbstreflexion in transkulturellen Texten der deutschen Gegenwartsliteratur. Zum didaktischen Potenzial von Literatur für die Vermittlung interkultureller Kompetenzen.“
 

© Jacek Ruta/DFH-UFA

Preisverleihung am 24. Januar 2019 in der Französischen Botschaft in Berlin.

Foto (v.l.): DFH-Präsident David Capitant, Nathalie Wagner, Jacques Renard (ASKO Europa-Stiftung) und DFH-Vizepräsident Olivier Mentz.

Studium

Der trinationale Studiengang „Deutsch-Französische Studien: Grenzüberschreitende Kommunikation und Kooperation“ wird gemeinsam von der Universität des Saarlandes, der Université de Lorraine-Metz und der Universität Luxemburg angeboten. In jedem Jahrgang lernen rund 20 deutsch- und französischsprachige Studenten gemeinsam in einer gemischten Gruppe. Das erste Studienjahr absolvieren sie in Metz, das zweite in Saarbrücken, zudem finden Blockseminare in Luxemburg statt.

Die Lehrveranstaltungen werden auf Deutsch und Französisch gehalten. Am Studiengang beteiligt sind die Saarbrücker Romanistik und Germanistik, die Informations- und Kommunikationswissenschaften der Universität Metz sowie die Sprach- und Literaturwissenschaften der Universität Luxemburg.

Weitere Infos unter: https://www.uni-saarland.de/lehrstuhl/luesebrink/studium/deutsch-franzoesische-studien/dfsmaster.html

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