Thorsten Mohr

Informatiker Marc Teyssier zeigt die dem menschlichen Auge nachempfundene Kamera „Eyecam“.

Technikkritik

Webcam im Design eines menschlichen Auges

Mikrofone und Kameras sind heute überall verbaut: in Smartphones, Laptops, sogar in Kühlschränken und Fernsehern. Viele Menschen sind inzwischen an ihre Gegenwart gewöhnt und sehen sie nicht mehr als das, was sie eigentlich sind – allgegenwärtige Augen und Ohren. Ein Uni-Team aus Informatikerinnen und Informatikern nutzt einen innovativen Design-Ansatz, um die alltäglich gewordene Sensorik kritisch zu hinterfragen. Mit ‚Eyecam‘ stellen sie nun den Prototypen einer Webcam vor, die nicht nur wie ein menschliches Auge aussieht, sondern dessen Bewegungen realitätsgetreu imitiert.
Von Philipp Zapf-Schramm • 20.04.2021

„Das Ziel unseres Projektes ist nicht, ein ‚besseres‘ Design für Kameras zu entwickeln, sondern eine Diskussion anzuregen. Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass wir tagtäglich von wahrnehmenden Geräten umgeben sind. Da stellt sich die Frage, was das mit uns macht“, sagt Marc Teyssier. Der gebürtige Franzose hat 2020 zum Thema anthropomorphes Design in Paris promoviert. Heute arbeitet er als Postdoc in der Forschungsgruppe ‚Human-Computer Interaction‘ an der Universität des Saarlandes.

Gemeinsam mit Kollegen hat er eine Webcam entwickelt, die das menschliche Auge nicht nur äußerlich kopiert, sondern auch unbewusste Augenbewegungen wie das Blinzeln oder Hochziehen der Braue realitätsgetreu nachahmt. „Mit ‚Eyecam‘ gehen wir der Frage nach, ob ein technisches Gerät seine Funktion im Design widerspiegeln sollte“, ergänzt die Informatikerin Marion Koelle, die zur sozialen Akzeptanz am Körper getragener Kameras promoviert hat. Das Forscherteam entschied sich für die naturgetreue Nachbildung des Auges, weil dieses auf ganz unterschiedliche Weise zum Einsatz kommt. „Es gibt verschiedene Arten des Sehens, die alle ihre ganz eigenen Konnotationen haben, beispielsweise kann man etwas betrachten oder nur erkennen oder aber genau beobachten und ausspionieren. Auch kann eine als Auge designte Kamera durch Mimik nonverbale Signale senden. Diese eröffnen eine Interaktionsebene, die es in technischen Geräten bisher nicht gab“, erläutert Koelle.

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Eine als Auge designte Kamera kann durch Mimik auch nonverbale Signale senden.

Informatikerin Marion Koelle

„Die Forschung ist Teil einer ganzen Reihe von Arbeiten im Rahmen eines von der Europäischen Union geförderten Projektes, dem ERC Starting Grant ‚InteractiveSkin ‘. Hier untersuchen wir, wie die Interaktion zwischen Mensch und Maschine verbessert werden kann. Dabei konzentrieren wir uns besonders auf Bedienelemente, die dem menschlichen Körper nachempfunden sind“, erklärt Informatik-Professor Jürgen Steimle der die Forschungsgruppe am Saarland Informatics Campus leitet.

Die Saarbrücker Informatiker nutzen die Fähigkeiten und Optik ihrer neuen Entwicklung, um verschiedene Facetten allgegenwärtiger Sensorik zu erkunden. Schon heute sind Webcams ein potenzielles Risiko für die Privatsphäre. Eyecam übertreibt diesen Aspekt und agiert als Beobachter, indem es das Auge öffnet und den Nutzer mit dem Blick verfolgt. Alternativ könnte die dem Menschen nachempfundene Kamera zur Selbstreflexion genutzt werden, indem das künstliche Auge ermüdet und immer wieder zufällt, wenn der Nutzer bis spät in der Nacht vor dem Rechner sitzt. Oder es könnte die Rolle eines Haustieres einnehmen, das einfach da ist, sich ab und an umblickt und erfreut reagiert, wenn der Besitzer den Raum betritt.

„Unsere Anwendungsszenarien sind fiktiv und sollen dazu animieren, darüber nachzudenken, wie wir heute, aber auch in Zukunft mit technischen Geräten interagieren. Das Besondere an unseren Experimenten ist, dass wir unsere erdachten Szenarien mithilfe eines physisch vorhandenen Prototyps erfahren und nachempfinden können“, sagt Marc Teyssier. Um möglichst viele Menschen mit ihren Denkanstößen zu erreichen, haben die Wissenschaftler die Baupläne für ihre Entwicklung veröffentlicht.

Originalpublikation

Die Originalpublikation unter dem Titel „Eyecam: Revealing Relations between Humans and Sensing Devices through an Anthropomorphic Webcam“ wurde von der weltweit größten Konferenz im Bereich Mensch-Maschine-Interaktion akzeptiert. Im Mai wird sie auf der 32. „ACM Conference on Human Factors in Computing Systems (CHI)“ in Yokohama (Japan) veröffentlicht, Neben Marc Teyssier und Marion Koelle waren Paul Strohmeier, Bruno Fruchard und Professor Jürgen Steimle, allesamt Universität des Saarlandes, an dem Projekt beteiligt.

Eine Preprint-PDF-Version des Papers ist zu finden unter: https://hci.cs.uni-saarland.de/wp-content/uploads/projects/critical_design/eyecam/teyssier_chi21_eyecam.pdf

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