
Adrian Froschauer erforscht Traumsequenzen in Computerspielen – hier mit einer Szene aus „Back to Bed“.
Computerspiele: Wenn hartgesottene Helden träumen
Ein Germanist und Literaturwissenschaftler, der nicht über Büchern und Texten sitzt, sondern ganz wissenschaftlich in Videospielwelten eintaucht – wie kann das sein? „Ich habe mich während des Studiums ins Thema Computerspiele eingearbeitet“, erklärt Adrian Froschauer. Mit durchzockten Nächten und „Ballerspielen“ am Bildschirm hat das freilich wenig zu tun. „In meiner Bachelorarbeit habe ich die Erzählstrukturen in Videospielen analysiert und in der Masterarbeit das Ganze noch verfeinert – da ging es insbesondere um Erzählerfiguren und -stimmen“, erzählt der 29-jährige Saarländer, der nach dem Studienabschluss zunächst ein zweijähriges Volontariat beim Trierischen Volksfreund absolviert hat. Um dann doch wieder in die kulturwissenschaftliche Forschung an der Saar-Uni zurückzukehren: Seit April 2018 als Doktorand im Graduiertenkolleg „Europäische Traumkulturen“ der Universität tätig, kann er sich drei Jahre lang ganz auf seine Promotion konzentrieren. Das interdisziplinäre Forschungs- und Qualifizierungsprogramm wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bis 2024 gefördert und ist eines von ganz wenigen Programmen in Deutschland mit literaturwissenschaftlichem Schwerpunkt. Geleitet wird es von der Saarbrücker Professorin für Literaturwissenschaft Christiane Solte-Gresser.
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Computerspiele haben eine eigene Traumästhetik
Adrian Froschauer
Am Graduiertenkolleg sind Wissenschaftler aus zehn verschiedenen Fächern beteiligt. Gemeinsam mit Doktoranden, Postdoktoranden und Studierenden erforschen sie seit 2015, wie Träume im europäischen Kulturraum in Kunst und Kultur dargestellt werden – etwa in Romanen und Gedichten, auf der Bühne, im Film oder in Gemälden. Oder im Computerspiel. „Mein Thema sind Träume und Traumsequenzen in Videospielen. Diese vergleiche ich mit Traumdarstellungen in Film und Literatur und untersuche, welche Funktion sie haben“, sagt Doktorand Adrian Froschauer. Den wichtigsten Unterschied gibt das Medium von vorneherein vor: „Die Spieler können in die Spielwelt eintauchen, mit ihr interagieren und sie teilweise auch kontrollieren.“ Doch wie sehen Träume in Computerspielen aus? „Einerseits greifen die Spiele auf kulturhistorische Traditionen zurück; das bedeutet, Handlungsorte und Motive stammen aus Filmen, der Literatur und vielen anderen Medien“, hat der Literaturwissenschaftler herausgefunden. Dennoch hätten Computerspiele eine eigene Traumästhetik: „Traumsequenzen spielen sich in wundersamen Landschaften und verzerrten oder sogar physikalisch unmöglichen Räumen ab, was dem Spieler die Orientierung erschwert. Generell fehlt ihnen die Action, sie sind meistens eher langsam und atmosphärisch.“ Und noch etwas ist ihm bei der Recherche schnell aufgefallen: „In Computerspielen sind Träume nur selten schöne Träume.“
Für seine Arbeit tauscht sich Adrian Froschauer intensiv mit Kollegen in der Computerspielszene aus, liest Besprechungen zu Neuerscheinungen und informiert sich auf Youtube mittels „Lets-Play-Videos“: „Dort werden Spiele gezeigt und Kommentare dazu abgegeben. Danach entscheide ich, ob das interessant sein könnte“, erklärt er. Neben seinen allgemeinen Beobachtungen über Traumdarstellungen in Computerspielen möchte er in seiner Promotion einige Beispiele vertieft behandeln. Eines davon ist das Spiel „Max Payne“, eine finnische Produktion von 2001, die nach ihrer Hauptfigur benannt ist: Der Polizist ist Gangstern auf der Spur, die seine Frau und seine Tochter ermordet haben. „Außerhalb der Traumsequenzen ist Max Payne der klassische Actionheld, der sich an den Mördern und ihren Auftraggebern rächen will. Die Traumdarstellungen offenbaren dagegen, dass er unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet und sich selber die Schuld am Tod der Familie gibt.“ Dabei steuert der Spieler den Protagonisten – in Zeitlupe – durch ein Haus, das wie ein Labyrinth erscheint, Gänge werden in die Länge gezogen, ein schwarzer Abgrund tut sich auf. „Diese Traumsequenzen sind für den Spieler eher frustrierend, da sie ihm ein Gefühl der Machtlosigkeit vermitteln. Doch in ihnen liegt die eigentliche Charakterisierung der Figur“, erläutert Adrian Froschauer die Funktion dieser alptraumhaften Szenen.
Computerspiele werden gesellschaftlich und kulturell immer relevanter
Adrian Froschauer
In Computerspielen würde seit einiger Zeit tatsächlich mehr Wert auf die Story gelegt, sagt er. „Die Spieler wollen eine Geschichte erleben, nicht nur durch Actionszenen navigieren und Geschicklichkeitsproben absolvieren.“ Dieser Anspruch werde derzeit von kleinen Independent-Produktionen erfüllt, die sich ein Autorenteam leisten. Auch im Saarland entwickle sich eine eigene Szene hinsichtlich Spieleentwicklung und -forschung: „Kleine Entwicklerteams gründen sich, die Vernetzung nimmt zu, und an der Hochschule für Technik und Wirtschaft sowie der Hochschule der Bildendende Künste Saar gibt es Lehrveranstaltungen über Spiele-Design“, sagt der Literaturwissenschaftler.
Doch warum sollte man Computerspielen überhaupt wissenschaftliches Interesse zukommen lassen, werde er immer wieder gefragt, erzählt Adrian Froschauer. „Tatsache ist, dass Computerspiele gesellschaftlich und kulturell immer relevanter werden“, betont er. Das sehe man auch daran, dass es neue Spiele immer häufiger sogar in die Artikel des „klassischen“ Feuilletons schafften. „Fast jeder spielt zumindest ab und zu einmal, und wirtschaftlich gesehen laufen Videospiele inzwischen sogar Filmen den Rang ab“, weiß der Doktorand. Ein Ziel seiner Promotionsarbeit ist es daher, ein Instrumentarium für die (Traum-)Analyse dieses vergleichsweise jungen Mediums herzuleiten.
Das Kolleg wird seit 2015 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Bis zum Ende der zweiten Förderperiode 2024 werden mehr als sechs Millionen Euro aus Mitteln des Bundes ins Saarland fließen. Sie werden überwiegend zur Finanzierung von Stellen für Nachwuchsforscherinnen und -forscher verwendet. Diese nehmen auch an Workshops, Tagungen und Seminaren teil. Daneben umfasst die Arbeit des Kollegs öffentliche Gastvorträge sowie ein umfangreiches Kulturprogramm, denn die Doktoranden qualifizieren sich über ihre wissenschaftliche Ausbildung hinaus auch für die kulturelle Praxis.
www.traumkulturen.de

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Graduiertenkollegs „Europäische Traumkulturen“ im Januar 2019.

Die Sprecherin des Graduiertenkollegs, Prof. Dr. Christiane Solte-Gresser.
„Inhaltlich widmen wir uns in der zweiten Förderphase vor allem den körperlichen und sinnlichen Erfahrungen des Träumens und ihrer ästhetischen Gestaltung in den verschiedenen Medien. Wichtige Themen sind unter anderem die Verbindungen zwischen Traum und Trauma oder geträumte Erfahrungen von Flucht und Sprachlosigkeit“, erläutert die Sprecherin des Kollegs, Prof. Christiane Solte-Gresser.
Ergebnisse ihrer aktuellen Forschung hierzu wurden im April 2019 in der Zeitschrift „Scientia“ präsentiert: Der Artikel gibt einen Überblick über Solte-Gressers Studien zum Traum in der Holocaust-Literatur. Hier beschäftigt sich die Literaturwissenschaftlerin mit der Frage, warum und wie Träume als Erzählverfahren eingesetzt werden, um die verlorene Geschichte von sechs Millionen Ermordeten zu erzählen:
www.scientia.global/professor-christiane-solte-gresser-using-dreams-to-depict-the-nightmare-of-the-holocaust/
- Bilder Gerhild Sieber Saar-Uni Foto: Graduiertenkolleg